Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles auf Anfang

Alles auf Anfang

Titel: Alles auf Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benioff David
Vom Netzwerk:
ausfährt, wie der Feuerwehrmann sie der Gefahr entreißt. Selbst in meinen Fantasien war nicht ich der Held.
    Ich steckte die Abdeckkappen auf das Objektiv und das Okular des Fernrohrs, zog mich aus, legte mich ins Bett. Es war ein herrliches Bett, mit vier hohen Zedernholzpfosten und einem handgeknüpften Moskitonetz von der Elfenbeinküste. Es gab nicht viele Moskitos im Haus, aber ich liebte es, wie sich das Netz im leichten Luftzug der Klimaanlage bewegte, eine blasse Lunge, die ein- und ausatmet.
    In der seltsamen Phase zwischen Schlafen und Wachen stellte ich mir vor, ein Löwe geworden zu sein. Ich strich durch die Straßen, die Mähne strähnig vom Schmutz der Stadt. Ich begegnete meinen steinernen Brüdern auf den Stufen der Public Library; ich setzte mich zu ihnen und sah dem Streifenpolizisten nach, der in seinem orangefarbenen Poncho vorbeiging, das krächzende Walkie-Talkie am Gürtel. Ich stieg unter die Erde hinab, unter die Bürgersteige, durchstreifte die Subway-Tunnel. Die fetten Ratten flüchteten, wenn sie mein Fell rochen. Ich rollte mich neben einem Selbstgespräche führenden Irren zusammen, einem dreckigen Bündel pissefeuchter Lumpen, einst ein Baby in der Wiege, glänzende Zukunftsaussichten. Ich leckte ihm den Schmutz vom Gesicht; er vergrub den Kopf in meiner Mähne. Bald darauf schlief er ein, und zum ersten Mal seit Jahren schlief er tief und fest.

    Regen schlug auf das geriffelte Glas meines Oberlichts, der Hufschlag einer Kavalleriebrigade in der Ferne. Es war kurz vor Morgengrauen. Das Haus war weniger leer, als es gewesen war. Ich zog einen grün karierten Schlafanzug an, ging die Treppe hinunter und klopfte an die Tür des Elternschlafzimmers.
    »Herein«, rief mein Vater.
    Ich machte die Tür auf. Er saß im Schneidersitz auf dem Boden, die einzelnen Teile seines zerlegten Gewehrs, glänzend und geölt, auf einem fleckigen Handtuch, das auf seinem Überseekoffer lag. Er trug sein Unterhemd und eine Kakihose mit Grasflecken, eine Nickelbrille, eine schwarze Armbanduhr aus Stahl mit entspiegeltem Zifferblatt, das Geschenk eines ugandischen Generals.
    Wenn du in deiner Wohnung sitzt, spätabends, allein, seltsame Geräusche durch die Flure hallen, dich aufschrecken, und wenn du dann auf die andere Straßenseite blickst, durch das Fenster in die Wohnung eines Fremden blickst, die nur vom Schein des Fernsehers erhellt wird, und dieses fremde Zimmer in ein kühles und gespenstisches Blau getaucht ist - genau diese Farbe hatten die Augen meines Vaters.
    Er wischte sich die Hände an einem Zipfel des Handtuchs ab, stand auf, kam auf mich zu und packte mich bei den Schultern, küsste mich auf die Stirn. »Du siehst dünn aus.«
    »Ich war eine Zeit lang krank. Es geht mir gut.«
    »Isst du genug?« Er musterte mich aufmerksam. Ich konnte meinen Vater nie anlügen. Ich meine, ich konnte ihn anlügen, aber ich kam nie damit durch.

    »Manchmal vergesse ich es.« Es war die Wahrheit. An schlechten Tagen erschien mir der Gedanke, etwas zu essen, irgendwie grotesk, oder zügellos.
    Er ging an seinen Schreibtisch, ein Rollpult aus schimmerndem Mahagoni, das angeblich Stonewall Jackson gehört hatte. An der Wand über dem Schreibtisch hingen vier Masken - geschnitztes Holz, verziert mit Federn und Bastfetzen -, die mein Vater in Mali gekauft hatte. Jede stellte eine Figur aus dem alten Sprichwort der Bambara dar: »Was ist eine Krähe anderes als eine in Teer getauchte Taube? Und was ist ein Mensch anderes als ein mit der Gabe der Rede gestrafter Hund?«
    Mein Vater nahm ein Bündel Faxe vom Schreibtisch und schaute sie flüchtig durch. »Ich sehe hier deinen Namen. Du warst einer der Augenzeugen?«
    »Er hat mir zugezwinkert.«
    Mein Vater fuhr fort, die Faxe durchzulesen, die er auf Armeslänge von sich hielt, weil die ihm verschriebene Brille zu schwach war und er sich nie darum kümmerte, seine Sehstärke überprüfen zu lassen. Dass er weitsichtig war, wirkte sich jedoch nicht auf seine Zielgenauigkeit aus. Ich erinnere mich, dass ich einmal ein Profil meines Vaters in einer aufwendig gemachten Jagdzeitschrift las; begleitet wurde der Artikel von dem Foto eines Silberdollars, der von einer hochkalibrigen Kugel zu einem sauberen Ring geschossen worden war. Die Bildunterschrift lautete: Geschossen von MacGregor Bonner im Transvaal auf 400 Meter (liegend) . Mein Vater hatte mit einer betrunkenen Dame der Johannesburger Gesellschaft gewettet, dass er das konnte; als die Dame ihre Wettschuld

Weitere Kostenlose Bücher