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Alles auf Anfang

Alles auf Anfang

Titel: Alles auf Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benioff David
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Zerreißen gespannten Nerven so straff, dass sie bei einer einzigen Berührung an der richtigen Stelle durchs Zimmer sausen würden wie ein nicht verknoteter Luftballon.
    Ich konnte mir die verzückten Frauen vorstellen, weil ich in Romanen von ihnen gelesen hatte, sie in Filmen gesehen hatte, aber ich hatte nie eine in den Armen gehalten. Ich hatte keine nackte Brust mehr berührt seit dem Tag, an dem meine Mutter mich entwöhnte. Der einzige Kontakt, den ich mit Frauen hatte, war rein zufällig: die Finger einer Supermarktkassiererin, die mich streiften, wenn sie mir mein Wechselgeld gab, oder eine alte Frau, die mir im Bus auf die Schulter tippte und mich bat, zur Seite zu treten, damit sie aussteigen konnte. Wie mein geliebter heiliger Franziskus war auch ich unberührt.
    »Und wie bist du das geworden?«, fragte ich Butchko. »Hat deine Freundin aus der Highschool gesagt, du seist der Größte?« Ich versuchte den Ursprung seiner Hirngespinste zu ergründen.
    Er schien diese Frage nicht zu verstehen. »Ja, klar.«
    Irgendwie hatte er etwas Sympathisches. Seine Wahnvorstellungen waren wenigstens originell. Alle anderen zugewanderten
New Yorker halten sich für die größten Schauspieler, Künstler, Schriftsteller, was auch immer - da war es nett, mal dem größten Liebhaber zu begegnen.
    Der pfeifende Zypriote hörte und hörte nicht auf. Strophe Refrain Strophe Refrain Strophe. Falls es eine Überleitung gab, so kannte der Mann sie nicht. Ich grub mir die Knöchel in die Augenhöhlen und atmete tief durch.
    »Mackenzie? Alles okay?«
    »Dieses Lied «, flüsterte ich. »Wie heißt das Lied, das er dauernd pfeift?«
    »Paper Moon« , sagte Butchko. Er sang den Refrain zur Begleitung des Pfeifens. Butchko hatte eine wunderbare Stimme, einen tonreinen Tenor, und einen Moment lang glaubte ich ihm alles, jedes Wort, die Städte, Dörfer und Landstriche voller bebender Frauen, die in ihren Badewannen planschen, seinen Namen stöhnen, Butchko, Butchko, in ihrer Raserei Abertausend geflieste Fußböden nass spritzen.
    »Löwe«, sagte er, während er mit den Zinken seiner Gabel Furchen in den Ketchup auf seinem Teller zog. »Mein erster Löwe.«

    Sobald ich daheim war, begann ich das Haus für meinen Vater herzurichten, holte sechs Steaks aus der Gefriertruhe und legte sie in den Kühlschrank, saugte den Teppich im Elternschlafzimmer, schichtete in der Bibliothek die Holzscheite und das Anfeuermaterial in den Kamin, stellte die elfenbeinernen Schachfiguren in der richtigen Formation auf. Ich wusste, dass er bestimmt von dem Löwen gehört hatte, dass er schon im Flugzeug saß und den Atlantik überquerte. Wir lebten in einem um die Jahrhundertwende gebauten
braunen Sandsteinhaus, dessen Fassade Weintraubenbüschel und lüstern blickende Satyrn zierten. Mein Zimmer war im obersten Stock, unter einem Oberlicht aus geriffeltem Glas. Nachdem das Haus für seinen Herrn und Meister bereit war, schloss ich mich in meinem Zimmer ein und machte das Licht aus.
    Abgesehen von dem Oberlicht hatte mein Zimmer nur ein einziges Fenster, klein und rund wie ein Bullauge, das nach Süden ging. Neben diesem Fenster stand, auf ein Dreibeinstativ montiert, ein Messingfernrohr, das mir mein Vater zu meinem zwölften Geburtstag geschenkt hatte. Das Fernrohr hatte General Jubal Early von der Armee der Konföderierten Staaten von Amerika gehört; sein Monogramm war unterhalb des Okulars im Messing eingeprägt. Wie tief das Fernrohr gesunken war: Hatte es einst dazu gedient, die Truppenbewegungen der Nordstaaten im Shenandoah Valley zu beobachten, so spionierte es nun die Schuhschachtelwohnungen von New Yorkern aus. Eine rothaarige Frau, die mit einem Thermometer im Mund fernsieht; vier junge Mädchen, die im Schneidersitz auf dem Wohnzimmerteppich sitzen und Origami-Kraniche falten; ein alter Mann mit nacktem Oberkörper, die Arme auf dem Fensterbrett verschränkt, der über mich hinweg nach Harlem blickt; zwei Frauen, eine alt, eine jung, die langsam in der Küche tanzen; ein kleiner Junge mit Topfhaarschnitt, der in einem Superman-Schlafanzug im Bett liegt und ein Buch liest.
    Ich spähte in die anderen Fenster des Wohnblocks, um mich davon zu überzeugen, dass alle sicher waren. Das war mein abendliches Ritual - ich war ein verantwortungsbewusster Voyeur. Manchmal hoffte ich fast, Rauch aus einem
Toaster aufsteigen zu sehen, um die Feuerwehr rufen und zuschauen zu können, wie das Löschfahrzeug seine Leiter bis zum Fenster der Rothaarigen

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