Alles auf Anfang
rosa Glaswolle zugestopft. Am einen Ende hing eine gelbe Tür schief in den Angeln; ich ging um das Häuschen herum und entdeckte am gegenüberliegenden Ende eine ebenso schiefe rote Tür.
»Warum hat es zwei Türen?«
»Wenn es vier Türen hätte, wäre es eine Taubenlimousine.«
Er freute sich so diebisch über diesen Witz, dass sein Gesicht knallrot anlief. Er machte den Mund auf und strahlte
mich mit seinen großen weißen pennsylvanischen Zähnen an. »Ach, Mackenzie. Du bist prompt darauf reingefallen.«
Ich machte die rote Tür auf und ging hinein. Innen waren keine Taubenkäfige, nur ein grüner Schlafsack, an einigen Stellen mit Isolierband geflickt, der ausgerollt auf dem nackten Holzboden lag; ein Heizofen, nicht angeschlossen, weil Sommer war; ein Radiowecker, der Beatles-Songs spielte; eine blaue Obstkiste, vollgepackt mit Taschenbüchern; ein elektrischer Wasserkocher; und eine Pyramide aus Instant-Nudelgerichten in Styroportassen. Die Kabel führten in einen Überspannungsschutz, der mit einer dicken gelben Verlängerungsschnur verbunden war, die in einem sauber gebohrten Loch im Boden verschwand.
»Der Verwalter versorgt mich mit Strom«, sagte Butchko, der hinter mir unter der Tür stand. Wir mussten uns ducken, um unter das steil abfallende Dach zu passen. »Prima Deal, finde ich.«
»Wird dir hier oben nicht kalt?« Selbst wenn der Heizofen auf Hochtouren lief, konnte das Taubenhaus im tiefsten Winter kein warmes Plätzchen sein.
Butchko zuckte mit den Schultern. »Nachts schlafe ich ja meistens woanders.«
Ich nahm das oberste Taschenbuch aus der Kiste. Ausgewählte Gedichte von Robert Browning . Ich las ein paar Zeilen, legte das Buch wieder zurück. »Und wo ist die Toilette?«
»Unten im Keller. Da ist auch eine Dusche. Wenn ich pinkeln muss, mach ich’s einfach vom Dach aus und probiere, wie weit ich komme. Ich zeig dir was.« Er führte mich aus dem umfunktionierten Taubenhaus und an den Rand des Daches. Wir lehnten uns an die Brüstung und blickten auf die
Backsteinmauer des gegenüberliegenden Gebäudes. »Siehst du die Feuertreppe? Die hab ich neulich getroffen. Das sind bestimmt an die sieben Meter, oder?«
Ich folgte mit den Augen den Leitern und Absätzen der Feuertreppe hinunter in die Gasse, die, abgesehen von einem überquellenden blauen Müllcontainer, leer war.
»Da unten sind sowieso nur Ratten«, sagte Butchko. »Ein bisschen Pisse macht denen nichts aus. Oder vielleicht doch, aber scheiß drauf, sind ja bloß Ratten. Und jetzt zeige ich dir das Allerbeste. Komm mal mit.«
Im kühlen Schatten des Wassertanks schnappte er sich eine Feldflasche, die auf der Teerpappe lag, und begann die Stahlsprossen hinaufzuklettern, die an den Beinen des Tanks angeschweißt waren. Ich ging zurück in die Sonne, um seinen Aufstieg zu verfolgen. Am oberen Rand des Tanks drehte er sich um und winkte mir, zehn Meter unter ihm, zu, bevor er sich über den Rand hievte und nicht mehr zu sehen war. Eine Minute später begann er wieder herunterzuklettern. Er nahm die letzten zwei Meter im Sprung und legte eine perfekte Landung hin.
»Da«, sagte er und reichte mir die Feldflasche. Ich trank kaltes Wasser.
»Da oben ist ein Wasserhahn für die Kontrolleure. Die kommen zweimal im Jahr und überprüfen alles, vergewissern sich, dass keine Bakterien oder sonst was drin rumschwimmen.«
Ich gab ihm die Feldflasche zurück und sah zu, wie er trank, sah zu, wie sein kräftiger Adamsapfel auf und ab hüpfte.
»Willst du mir nicht endlich verraten, was das totale Erschauern ist?«
Butchko grinste. »Also wirklich, Mackenzie, das hast du doch schon gesehen.«
»Wo?«
Er schraubte die Feldflasche zu und legte sie wieder in den Schatten des Tanks. »Nur das Erschauern ist keine Lüge«, sagte er, und die Art, wie er es sagte, verriet mir, dass es ein Zitat war. »Das Erschauern ist die ungelogene Wahrheit. Weißt du, Frauen sind ganz anders als Männer.«
»Ach was!«
»Na ja, okay, das klingt abgedroschen, aber es ist wichtig. Für einen Mann ist Sex einfach. Er schiebt ihn rein und kommt. Aber bei einer Frau geht das nicht automatisch.«
Bei mir ging das auch nicht automatisch, aber ich hielt den Mund.
»Tatsache ist, Frauen sind feinfühliger als Männer. Sie wollen unsere Gefühle nicht verletzen.«
»Ha«, konterte ich.
»Im Allgemeinen«, sagte er. »Also simulieren sie, manchmal. Sie tun so, als ob. Bei mir ist es, in Anbetracht meiner Umstände, sehr wichtig, dass ich ganz genau
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