Alles auf dem Rasen
großes Geschenk ist, auf etwas Schönes verzichten? Das wäre widersinnig. Daher auch die Entscheidung, zwei Wohnungen zu behalten. Schließlich sagt die Frage, wie viele Kühlschränke man insgesamt besitzt, nichts über die Nähe zwischen zwei Menschen aus. Man kann gemeinsam weggehen und genauso gut allein, und selbst seine beste Freundin und ihr bester Freund erzeugen keine Probleme, weil Eifersucht keine Rolle spielt, solange man einander vertraut. Und im Bett – ja, im Bett ist alles erlaubt, solange es beiden gefällt. Man will eine gute Zeit miteinander haben, man sperrt sich nicht ein. Wenn er mal mit einer anderen pennt, kann man darüber reden. Das macht einen noch lang nicht zum Hippie. Hauptsache, kein Stress. Hauptsache, kein Zwang. In Endlichkeit, Amen.
So also wurde die Spreu vom Weizen getrennt: Liebe ist gut, Abhängigkeit böse. In Abhängigkeiten begeben sich schwache, rückständige Menschen aus der Kategorie »Versager«, während die starken, postmodernen Siegertypen freie Bindungen eingehen – oder gar keine. Wenn sie allein bleiben, weil sich der passende Mitspieler nicht findet, tragen sie das Kinn hoch im Bewusstsein, dass selbstgewählte Einsamkeit immer noch besser ist als Knechtschaft. Auf dem Buchmarkt und im Internet finden sich haufenweise Ratschläge, wie man Abhängigkeitsmuster identifiziert, falsche Bindungen löst und es beim nächsten Mal besser macht. Was nicht in den Büchern steht, ist, dass die Halbwertszeit einer erwachsenen Beziehung meist nur ein paar Jahre beträgt. Und dass die meisten, die in einer solchen zu leben behaupten, sich selbst in die Tasche lügen.
Es ist nun einmal so: Von den äußeren Bändern, die einst dazu dienten, Mann und Frau in guten und schlechten Zeiten zusammenzuhalten, ist kaum etwas übrig geblieben. Ich wäre die Letzte, die das beweinen wollte. Es ist schön, kein Kind haben zu dürfen, und wenn man eins hat, nicht heiraten zu müssen. Tut man es doch, kann man sich wieder trennen. Gegen die Gültigkeit des am Altar bekräftigten Schwurs spricht die Statistik: Fast jede zweite Ehe in Deutschland wird nicht vom Tod geschieden, sondern vor einem Familiengericht. Weder Staat noch Gesellschaft erhöhen heutzutage die Hemmschwelle vor einer Trennung. Es gibt keinen Zwang zur Treue mehr – aber damit auch keine Garantie.
Als Kind haben die meisten Menschen in schlaflosen Nächten Bekanntschaft mit einem perfiden Folterknecht gemacht: mit der Angst, nicht geliebt und deshalb verlassen zu werden. Spätestens nach Erreichen der Volljährigkeit beginnt diese Angst vom Untergrund aus zu operieren, sie treibt uns zu Höchstleistungen, zu Ehrgeiz und Erfolg, wird wichtiger Quell von Kraft und Motivation in einer sinnbereinigten, entideologisierten Welt. In Momenten des Zweifels kehrt sie unmaskiert zu uns zurück. Ein solcher permanenter Zweifelsfall ist die Liebe. Man kann behaupten, dieser Angst standzuhalten oder gar nicht erst von ihr heimgesucht zu werden – und lebt im Modellversuch »erwachsene Beziehung«. Wenn die rosafarbenen Wolken verweht sind, die ersten Krisen eintreten und beide Partner sich als fehlbare Wesen herausstellen, bekommt die Freiwilligkeit häufig ein anderes Gesicht. Sie wird zum umkämpften Gut, zum Drohpotential, vielleicht zum Trennungsgrund.
Obwohl ich schon mit fünfzehn an der Kinokasse nicht mehr nach dem Ausweis gefragt wurde, habe ich mich für alles, was erwachsen ist, immer zu jung gefühlt. Das hat sich bis heute nicht geändert. Ich fühle mich wohler, wenn ich meine Ängste lokalisieren kann, als wenn ich ständig die Power-Frau spielen muss. Das Gerede von der Unabhängigkeit klingt in meinen Ohren wie Pfeifen im Walde. Wer will schon wirklich frei sein? Spätestens seit den großen Sicherheitsdiskussionen der letzten Jahre ist deutlich zu erkennen, was es damit auf sich hat. Jeder Mensch braucht Berechenbarkeit, Beständigkeit und damit Bedingungen, auf die er sich verlassen kann – und die errichte ich lieber zu Hause, als sie vom Staat in Form von neuen Anti-Terrorismus-Gesetzen zu verlangen. Der Widerwillen dagegen, einen anderen zu brauchen, ist eine Folge des fortschreitenden Individualismus, der unsere Gesellschaft in einen Zusammenschluss von 80 Millionen Ein-Mann-Staaten zu verwandeln beginnt.
»Für mich ist es wichtig, auch allein sein zu können.« – »Ich will beim Gedanken daran, verlassen zu werden, nicht verzweifeln müssen.« – »Ich führe mein eigenes Leben.« – So
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