Alles auf dem Rasen
weiß es nicht. Jedenfalls nicht mehr oder weniger als der Mann, den ich liebe.
Es war einmal ein Ideal, und, Hand aufs Herz, es lebt immer noch. Ich sehe es in den Augen derer, die uns beneiden.
2004
RECHT
1 was sich gehört oder gebührt
2 die vom sittengesetz gegebene norm, vorschrift für unser sittliches handeln, und das demgemäsze
3 das dem denken, beobachten, urtheilen gemäsz richtige; gewöhnlich in festen verbindungen
4 gesetzliche norm, welche die stellung der
menschen in einem staatswesen nach maszgabe ihrer verbindlichkeiten regelt
Recht gleich Sprechung oder: Der Ibis im Nebel
D ie juristische Sprache ist ein Mysterium. Der Jurist versteht nicht, was andere Menschen an seiner Redeweise seltsam finden, und die Nichtjuristen verstehen nicht, was der Jurist gerade gesagt hat. Justitias Dialekt steht im Ruf, verschraubt zu sein, man findet ihn lach- oder brechreizerregend, er wird gescholten, gefürchtet, verspottet und parodiert. Aber was ist juristisches Sprechen? Und wofür braucht man es? Eine Werbeschrift in zehn kleingebackenen Brötchen für mehr Verständnis und Verständlichkeit.
1. Sprache
Was Sprache ist, weiß jeder. Manche wissen es ganz genau, zum Beispiel Kröners Lexikon der Sprachwissenschaft : »Auf kognitiven Prozessen basierendes, gesellschaftlich bedingtes, historischer Entwicklung unterworfenes Mittel zum Ausdruck bzw. Austausch von Gedanken«, oder, wenn man die Semiotiker zu Rate zieht: jedes zu Kommunikationszwecken verwendete Zeichensystem. Also auch der aufs Richterpult geklopfte Hammer. Oder ein hochgereckter Finger. Immer gilt: Am schönsten ist’s, wenn man weiß, was es heißt.
2. Juristen
Um nichts zu verstehen, muss man nicht notwendigerweise ins Ausland fahren. An einer Kinokasse stehen Menschen auf engem Raum, darunter zwei Männer in Anzug und Krawatte, hinter ihnen eine Mutter mit Kind. Der eine Mann erzählt, wie ihn seine Frau seit Wochen wegen eines kleinen Fehltritts abstraft und eine Szene nach der anderen macht.
Darauf der andere Mann (lachend): »Die hat wohl noch nie was von ne bis in idem gehört?«
Hinter ihm das Kind (neugierig): »Mami, was ist ein Ibis im Nebel?«
Die Mutter (unterdrückt): »Weiß ich nicht.«
Das Kind: »Aber Mami, warum redet der denn so komisch?«
Die Mutter (peinlich berührt): »Schweig still, mein Kind, der ist Jurist.«
3. Griechen und Römer
Aus der Sicht unserer aktuellen Rechtsauffassung mag überraschen, dass es in der ersten Blütezeit der antiken Jurisprudenz wenig um die Sache, gar nicht um die Wahrheit und nur gelegentlich um die Anwendung juristischer Normen ging. Die öffentliche Rede war darauf gerichtet, den Richter, die Zuhörerschaft und am besten noch die Gegenpartei von der Alleingültigkeit des eigenen Standpunkts zu überzeugen. Wem es gelang, einen bluttropfenden Schwerverbrecher zum Unschuldsengel zu stilisieren, der konnte sich einen Meister nennen. Die juristische Rhetorik war Kunst und in diesem Sinne Selbstzweck. Es ist kein Zufall, dass der berühmte Gerichtsredner Lysias als einer der ersten und wichtigsten attischen Prosaschriftsteller in die Geschichte eingegangen ist.
Wenn aber die Vertreter des Rechts zu den Vätern des literarischen Sprechens gehören – warum muss ich mich dann auf jeder Lesung fragen lassen, wie zum Teufel man gleichzeitig Juristin und Romanautorin sein könne? Und warum werde ich ausgelacht, wenn ich am Telephon wissen will, ob die Vorbestellung eines Tischs im betreffenden Restaurant und am Abend des vorliegenden Tages Aussicht auf Erfolg habe?
4. Der Ibis im Nebel
Materiell gesehen ist es weniger das griechische als das römische Erbe, das vom Zwölftafelgesetz über Prätorenedikte, Corpus Iuris Civilis und Glossatoren in weiten Teilen Europas rezipiert wurde und das unser Rechtssystem bis heute bestimmt. Eine Auffälligkeit des juristischen Sprechens, die beliebte Verwendung lateinischer Formeln und Merksätze, scheint also die mehr oder weniger tief empfundenen Verbindung des Rechtswissenschaftlers zu seinen römischen Urahnen zu spiegeln.
Auf den ersten Blick ist daran nichts Ungewöhnliches. Auch Priester reden gern Latein, die Philosophen Griechisch, die Köche Französisch und MTV Englisch. Jede berufliche oder soziale Gruppierung hat ihren Fachjargon – er ist Geheimsprache und Erkennungscode. Mit seiner Hilfe wird an Kinokasse oder Kneipentisch unstreitig gestellt, wer dazugehört und wer nicht. Der Außenstehende sitzt dabei und fühlt sich
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