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Alles auf dem Rasen

Alles auf dem Rasen

Titel: Alles auf dem Rasen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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man sich wohl wahrscheinlich auch mal eher nicht so gern genau festlegt. Grundsätzlich aber ist davon auszugehen, dass korrekter Ausdruck sowie die Vermeidung idiomatischer Wendungen einer exakten und objektiven Präsentation der vorzutragenden Inhalte förderlich ist. Wie soll man die rechtswissenschaftlichen Kenntnisse eines Anwalts ernst nehmen, der völlig aus allen Socken fällt, weil das Vorbringen der Gegenpartei dem Fass doch glatt die Krone ins Gesicht schlägt? Auch heute noch macht in der dritten Gewalt der Klang die Musik.
    Zuletzt bleibt darauf hinzuweisen, dass die Syntax des Juristischen der in sie gekleideten Argumentationsstruktur zu folgen gehalten ist. Der rechtswissenschaftliche Gutachter sammelt Fakten und zieht seine Schlüsse daraus: »Wir sind Juristen. Deshalb reden wir komisch« – während der Richter zuerst sein Urteil fällt: »Wir reden komisch. Aus den folgenden Gründen: …«
    9. Entindividualisierung der Rede
    Wenn das Ausdeuten von Sprache im Normalfall eine persönliche Angelegenheit ist, so gilt das erst recht für den Akt des Sprechens. Nicht nur Kleider machen Leute: Sag mir, wie du sprichst, und ich sage dir, wer du bist.
    Im Herrschaftsbereich der blinden Justitia aber darf es keinen Unterschied machen, »wer« jemand ist. Weil man dem Recht nicht auch noch Mund und Ohren zubinden kann, muss auf andere Weise deutlich gemacht werden, dass eine gerichtliche Entscheidung im demokratischen Rechtsstaat nicht der Weisheit eines salomonischen Urteilsfinders, sondern der möglichst objektiven Anwendung generell-abstrakter Rechtssätze entspringt.
    Der Verurteilte im Strafprozess oder der enttäuschte Antragsteller vor dem Zivilgericht würde sein Urteil nicht akzeptieren, wenn es als die Partikularmeinung eines Herrn Mustermann daherkäme, der zufällig hinter dem Richtertisch sitzt. Der Rechtsunterworfene akzeptiert – wenn überhaupt – die Gültigkeit von etwas Absolutem, des Rechts an sich und dessen Handhabung durch einen von Justitias Verrichtungsgehilfen. Deshalb versteckt der Sprecher des Rechts seine Individualität nicht nur unter der uniformen Robe, sondern auch unter einheitlichen Formulierungen. Kein Individuum ist im Spiel, das etwas feststellen könnte – und trotzdem »wird festgestellt«. Niemand ist da, der von irgendetwas ausgehen würde – dennoch »ist davon auszugehen«. Nämlich davon, dass der Jurist unter keinen Umständen »ich« sagen darf.
    Ganz anders als die Kunstredner im alten Griechenland geben moderne Juristen vor, ihre Argumente und Entscheidungen einem überindividuellen, abstrakten und absoluten Kontext zu entnehmen. Ein Jurist spricht mit fremder Zunge. Manchmal eben auch an der Kinokasse.
    10. Übersetzer gesucht
    In einer Kultur, in der schon am Anfang das Wort war und die seitdem die Akzeptanz ihrer Autoritäten auf Niedergeschriebenes stützt, besteht Bedarf an Rednern, die, wie Priester und Anwalt, Funktionen eines Vermittlers übernehmen. Im demokratischen Optimalfall entleihen sie weder Inhalt noch Form des Sprechens ihrem persönlichen Erfahrungsschatz, sondern einem allgemein gültigen und in seinen Darstellungsmöglichkeiten formelhaft strukturierten Diskurssystem. Auf diese Weise verkörpern sie die hinter ihnen stehende Macht und spiegeln in ihrer Sprache den Versuch, die Gefahr von Willkür und Missbrauch auf das kleinstmögliche Maß zu reduzieren.
    Was häufig ebenfalls auf das kleinstmögliche Maß reduziert wird, ist das Verständnis des Nichtjuristen. Der Ibis im Nebel fragt sich zu Recht: Wer übersetzt mir den Übersetzer? – An dieser Stelle reckt sich durch die glatte Oberfläche des Texts ein semantisch auszudeutender Zeigefinger: Die juristische Sprache soll der Autorität des Rechts dienen – der des Juristen gegenüber dem Rest der Welt nur in bescheidenem Umfang.
    2000

Justitia in Schlaghosen
    »Warum hast du dir eigentlich die Haare blau gefärbt?«, fragte mich neulich ein Kollege.
    Ich sah ihn ratlos an und überlegte, was ich antworten sollte, denn die Frisur einer Frau kann man schön finden oder nicht, aber warum – warum?
    »Weil es mir so gefällt«, sagte ich.
    Das stellte ihn nicht zufrieden.
    »Na ja, sieht ungewöhnlich aus«, meinte er zögernd und verschwand.
    Erst als er weg war, verstand ich, was er eigentlich hatte fragen wollen: »Kann man mit Schlaghosen und solchen Haaren Juristin sein?«
    Juristen sind konservativ, und Klischees sind nichts weiter als auf einen Nenner gebrachte

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