Alles auf dem Rasen
ein bisschen vorsichtig sein, gerade in deinem Beruf … die Demokratie in Frage stellen … völlig daneben.«
Kopfschüttelnd trägt er die Einkäufe ins Haus.
»Und sie«, flüstere ich vor mich hin, während ich ihm folge, »und sie bewegt sich doch.«
2000
SCHREIBEN
1 von der kunst und ihrer ausführung
2 von bestimmter beziehung dieser kunst, namentlich vom aufzeichnen zum gedächtnis, zur dauernden überlieferung
3 auch von aufzeichnungen zur benachrichtigung, nachachtung, als vorschrift, anerkennung, unterweisung, befehl, in geschäftlicher oder amtlicher thätigkeit u.s.w., in mannigfachster weise
4 von der thätigkeit als verfasser, schriftsteller, in mehrfacher fügung
What a mess
D er junge Mensch braucht Zeit, um zu kapieren, was eine Messe ist. In jungen Jahren findet Messe in der Kirche statt, zum Beispiel an Weihnachten, wenn man geschenkesatt und mit Weihrauchkopfschmerzen auf einer kalten Holzbank döst. Etwas später wird man vom Vater auf eine Motorradmesse geschleppt. Man ist noch zu dumm für rhetorische Siege und zu schwach für den körperlichen Nahkampf, und wer wegzurennen versucht, wird in der Krabbelecke abgegeben und auf einen bunten Gummihüpfball geschnallt, bis die Lautsprecherdurchsagen den Vater aus seinem Zweirad-Delirium reißen. Zurück bleibt der Eindruck, dass eine Messe ähnlich überfüllt und genauso produktiv ist wie der verkaufsoffene Sonntag bei IKEA. Kaum bin ich alt genug, um Rhetorik mit Selbstverteidigung zu kombinieren, gehe ich jahrelang trotz meines Hundes nicht auf Hundemessen, trotz meines Autos nicht auf Motorsportmessen – und auch nicht auf Buchmessen, obwohl ich lesen und schreiben kann.
Bis zur ersten Romanveröffentlichung. Schon im August schreibe ich mich für einen Volkshochschulkurs im autogenen Training ein, kaufe eine Zehnerkarte für Sauna und Solarium, tausche Heavy-Metal-CDS gegen Walgesänge und träume nachts von Gummihüpfbällen.
Die kurz aufflackernde Hoffnung, ich würde aus irgendwelchen Gründen die Sicherheitskontrolle nicht bestehen und dürfte wieder nach Hause gehen, bricht am Eingang in sich zusammen.
»Ich könnte jetzt in Ihre Taschen schauen«, sagt der Security-Gorilla, dann winkt er uns alle durch. Der Mensch erkennt sich vor allem in seinen Möglichkeiten.
Falls ich ein Gepäckstück sehe, von dem ich nicht weiß, wem es gehört, lese ich auf den Sicherheitsflugblättern, soll ich die Polizei verständigen. Auf den ersten Blick kommt es mir vor, als bestünde die ganze Messe nur aus mir unbekannten Gepäckstücken. Bei der Lautsprecherdurchsage »alpha, alpha« gilt es ein solches gezielt zu suchen. Bei »delta, delta« hingegen sollen wir aus dem Gebäude fliehen. Falls wir noch können. Es wurde wirklich an alles gedacht.
Ich habe keinen Orientierungssinn, nichts zu essen dabei, den Schlüssel zu meiner Unterkunft vergessen, und von Schnaps vor sechs wird mir schlecht. Ich bewerte meine Messetauglichkeit mit mangelhaft und suche mir erst mal eine Ecke, in der nicht schon jemand eifrig kritzelnd damit beschäftigt ist, noch vor Messeschluss eine Bin-Laden-Biographie fertig zu stellen. Ein Kollege kommt vorbei, um mir aus der beleidigenden F.A.Z. -Kritik von gestern vorzulesen und zu gucken, wie ich reagiere. Ich gebe ein Interview, signiere ein paar Bücher und lasse mir eine halbe Stunde von einem japanischen Verlagsmitarbeiter erklären, warum er mein Buch nicht für sein Land einkaufen will. Dann werde ich für die erste Talkrunde abgeholt und bin schon fast zum Profi geworden. Endlich lerne ich mal alle diese Leute kennen, welche ich mangels TV-Gerät noch nie im Fernsehen gesehen habe, unter anderem mich selbst. Ich erkläre, wie es kommt, dass mein Buch gar nichts mit New York zu tun hat und warum ich nicht genauso aussehe wie der Ich-Erzähler und weshalb mich das Erfolghaben nicht stört, weil ich natürlich immer ganz die Alte bleiben will. Auf der Damentoilette steigt die Temperatur auf sechzig Grad, die Tür zum »Pinselwaschraum« gegenüber ist verschlossen, und als die Rolltreppe stehen bleibt, wollen sich alle flach auf den Bauch werfen. Nach und nach ordnen sich Gesichter den vielen E-Mail-Anschriften in meinem Outlook-Adressbuch zu. Bei uns am Stand gibt’s nur Kekse, bei Bertelsmann Obst und Mineralwasser. Ich muss in einen Chatroom , wo Paganini, Oma und Elisa mich fragen, wer ich überhaupt bin und was ich hier mache. Gute Frage. Später möchte eine Schweizerin mich für eine Lesung
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