Alles auf eine Karte
in dem Andie wohnt, ist meiner Meinung nach das schönste Gebäude in der ganzen Straße. Die schneeweißen Fensterläden sehen immer aus wie frisch gestrichen. Ich zückte mein Handy und wählte ihre Nummer.
»Hey«, begrüßte sie mich.
»Hey. Ich stehe vor deiner Haustür.«
»Bin gleich da.«
Zwei Minuten später trat sie aus dem Gebäude auf den Bürgersteig und kletterte in den Wagen.
»Hey, du Sahneschnittchen. Wie läuft’s?«, sagte sie.
»Gut. Ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, dass sich in San Francisco niemand mehr die Mühe macht, auszusteigen und an der Tür zu klingeln?«
»Hä?«
»Stattdessen ruft man einfach vom Handy aus an, wenn man jemanden abholt. Warum eigentlich?«
Andie zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Ich schätze, es ist eben bequemer, im warmen Auto sitzen zu bleiben, statt irgendwo in zweiter Reihe zu parken und auszusteigen.«
»Aber es ist doch seltsam, dass das niemand unhöflich findet, nicht?«
»Darüber habe ich ehrlich gesagt noch nie nachgedacht.«
»Na, egal. Tolles Outfit übrigens.« Sie trug einen langen braunen Rock aus Cordsamt, kniehohe braune Stiefel und eine knallgelbe Jeansjacke über einem gelben T-Shirt mit Tweety- Aufdruck. »Ich weiß nicht, wie du das machst, aber du kannst die verrücktesten Klamotten tragen und wirkst trotzdem topmodisch angezogen.«
Sie sah an sich hinunter. »Findest du? Das habe ich alles schon ewig.«
»Sieht aber echt süß aus. Ich kann unmöglich Gelb tragen, darin sehe ich aus wie ein Teigklumpen.«
»Ich schätze, das ist einer der Vorteile, wenn man blond ist, selbst wenn es mich hundertfünfzig Dollar im Monat kostet.«
Ich lachte. »Ich kenne keine andere Frau außer McKenna, die das Glück hat, als bevorzugte Blondine durchs Leben gehen zu können, ohne einen Friseur dafür bezahlen zu müssen.«
»Die Welt ist ungerecht.« Andie schälte sich aus ihrer Jacke. Dann nahm sie den Strafzettel zur Hand und studierte ihn. »Straßenreinigung, hm?«
»Was sonst.«
»Also, weißt du, es ist doch wirklich nicht so schwer, sich zu merken, wann du dein Auto wegstellen musst.«
»Ich weiß, ich weiß, aber es ist einfach so lästig. Und außerdem finde ich es manchmal klüger, vierzig Dollar Strafe zu zahlen, als einen guten Parkplatz aufzugeben.«
»Wo du Recht hast, hast du Recht. Ich habe Freunde in North Beach, die fast genauso viel Miete für ihren Parkplatz berappen wie für ihre Wohnung«, sagte sie.
»Das haben sie davon, dass sie nach North Beach gezogen sind. Ist dir schon mal aufgefallen, dass es einfacher ist, nach China zu reisen, als einen Parkplatz in der Nähe von Chinatown zu bekommen?«
Sie nickte. » Das ist mir allerdings schon aufgefallen.«
*
Wie sich herausstellte, befanden sich unsere Plätze auf den »hinteren Rängen« nicht bloß ziemlich weit hinten, sondern praktisch auf dem Mond. Ich war sauer.
»Ich schreibe einen Beschwerdebrief an den Chef der Marketingabteilung«, keuchte ich und schälte mich aus meiner Jacke, während wir die x-te Treppe erklommen.
»An den Chef der Marketingabteilung?«, wiederholte sie erstaunt. »Wäre da nicht der Kundenservice zuständig?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nein, du musst dich immer an die Marketingabteilung wenden. Ich weiß aus Erfahrung, dass es die Marketingleute sind, denen das Image ihrer Firma wirklich am Herzen liegt. Außerdem bist du bei ihnen an der richtigen Adresse, um Werbegeschenke abzustauben. Vielleicht kann ich ja als Entschädigung zwei Plätze am Spielfeldrand fürs nächste Match herausschlagen.«
Sie tätschelte mir die Schulter. »Wenn du Erfolg hast, lass es mich wissen.«
Endlich hatten wir unsere Plätze erreicht. Sie waren wirklich beinahe in der allerletzten Reihe. Wir legten unsere Jacken ab. »Wir hätten einen Sherpa engagieren sollen«, sagte ich. »Okay, ich werde mich noch einmal zur Erde hinunterbeamen, um Bier und Erdnüsse zu holen. Soll ich dir etwas mitbringen?«
Sie starrte mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Du willst gleich wieder runter?«
Ich zuckte die Achseln. »Na ja, was bleibt mir anderes übrig? Ich habe Hunger.«
Also trabte ich die steilen Treppen hinunter bis zur überfüllten kreisrunden Halle, nur um eine Viertelstunde später mit einem Papptablett mit Snacks und zwei Bechern Bier in den Händen erneut den beschwerlichen Aufstieg anzutreten. Als ich die billigeren Ränge erreicht hatte, blickte ich nach unten auf das Spielfeld. Die Spieler beider Mannschaften
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