Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
Stimme.
»Das macht doch nichts«, erwiderten Frank und Millie beruhigend.
Ellen strengte sich mächtig an, die Scharte beim Essen wieder auszuwetzen. Sie folgte Patricks fröhlich plauderndem Beispiel, und sie warfen sich bei Tisch die Bälle zu, ohne auch nur ein einziges Mal danebenzugreifen. Als sie nicht lange danach aufbrachen, bemerkte Ellen, dass Frank und Millie erschöpft und ausgelaugt wirkten. Die beiden wären wahrscheinlich froh gewesen, wenn sie und Patrick mal eine Sekunde lang den Mund gehalten hätten.
»Sie kommen uns nächsten Monat doch wieder besuchen, nicht wahr, Kindchen?«, sagte Millie zum Abschied und legte Ellen ihre Hand auf den Arm.
FANG AN ZU HEULEN, UND DU BIST TOT!, donnerte eine Stimme in Ellens Kopf.
Keiner sprach ein Wort, als sie sich auf den Rückweg machten und Katoomba hinter sich ließen. Jack schien auf der Rückbank zu dösen. Nach einer Weile hielt es Ellen nicht mehr aus.
»Es tut mir wirklich leid, dass ich vorhin plötzlich zu weinen angefangen habe«, sagte sie, als könnte diese Formulierung ihren Gefühlsausbruch in einen bezaubernden, faszinierenden kleinen Zwischenfall verwandeln.
»Kein Problem«, erwiderte Patrick. »Wirklich. Zerbrich dir nicht den Kopf deswegen.«
Sie hätte es dabei bewenden lassen sollen.
»Es muss schwer für sie gewesen sein«, fuhr sie fort. »Mich kennenzulernen, und dann das neue Baby …«
»Ja.« Patrick nickte. »Aber außer dir hat keiner geheult!«
Der Stich war so schmerzhaft, dass Ellen nach Luft schnappte.
»Entschuldige«, fügte er sofort hinzu und streckte seine Hand nach ihr aus. »Das hätte ein Witz sein sollen. Ein blöder Witz. Wenn ich Frank und Millie besuche, habe ich immer Schuldgefühle, weil ich am Leben bin und Colleen tot ist. Diese Besuche nehmen mich jedes Mal ganz schön mit. Es ist eine unangenehme Situation.«
Was du nicht sagst.
»Ja, ich habe es auch so empfunden.« Ich habe am Grab deiner verstorbenen Frau gekniet! Diese Grasflecken gehen nie mehr raus!
»Entschuldige«, sagte er noch einmal und legte seine Hand wieder auf das Lenkrad. »Du warst wirklich großartig. Ehrlich. Ich bin dir so dankbar, dass du mitgekommen bist. Ich wünschte nur …«
Seine Stimme verebbte, und dann schwieg er und blickte ernst auf die Straße, als müsste er sich voll und ganz aufs Fahren konzentrieren.
Was hatte er sagen wollen? Ich wünschte nur, du hättest nicht geheult? Ich wünschte nur, Colleen wäre noch am Leben? Emotionen, die Ellen nicht näher zu bestimmen vermochte, brodelten in ihr: Scham, Ärger und so etwas wie Angst. Das bin nicht ich, dachte sie ein ums andere Mal. Ich bin nicht so.
Als sie an einer roten Ampel halten mussten, sagte sie: »Ich nehme an, du wirst die Kartons heute nicht mehr wegräumen, oder?«
Noch während sie das sagte, stand ein anderer Teil von ihr neben ihr, beobachtete sie distanziert und kopfschüttelnd.
Oh, Ellen! Du hast ein schlechtes Gewissen, weil du ihn mit deinem Gefühlsausbruch in Verlegenheit gebracht hast, und das ist jetzt deine kindische Art, ihm unter die Nase zu reiben, dass er auch nicht perfekt ist. Du bist auf Streit aus, weil du willst, dass irgendetwas passiert.
»Ich habe doch gesagt, ich muss noch ins Büro«, antwortete Patrick.
»Na schön, vielleicht können wir das nächste Wochenende als neuen Termin festsetzen?« Sie sagte es leichthin, aber das Scherzhafte in ihrem Ton war nur die Ummantelung eines dünnen, stählernen, schneidend scharfen Drahts, nicht anders als bei Patricks Witz Minuten zuvor.
»Hör auf, an mir rumzunörgeln, Ellen.«
Sie wandte sich ihm zu und sah, dass er die Kiefer so fest zusammengebissen hatte, dass seine Wange eingefallen aussah.
» Rumnörgeln ? Ich nörgle an dir herum?«
»Nicht jetzt. Nicht hier«, zischte er und deutete mit einer knappen Kopfbewegung nach hinten auf Jack, so als hätte sie absichtlich in Gegenwart seines kleinen, beeinflussbaren Sohnes einen Streit vom Zaun gebrochen.
Den Rest des Weges legten sie in eisigem Schweigen zurück. Ellen beschwor Erinnerungen an jenes Wochenende mit Jon in den Bergen herauf und rief sich ganz bewusst Szenen ins Gedächtnis zurück, in denen sie miteinander geschlafen hatten. Passive Aggressivität in ihrer reinsten Form. Das hatte sie noch nie getan.
Als sie vor ihrem Haus hielten, war die Luft im Auto stickig, so schwer lastete das beklommene Schweigen auf ihnen.
»Bis später«, sagte Patrick knapp und fuhr los, als Ellen und Jack ausgestiegen
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