Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
dass sie sich verpflichtet fühlten, uns miteinander bekannt zu machen. Solange Jeff noch nebenan wohnte, war mir diese Peinlichkeit erspart geblieben; wir hatten nie Besuch, er genauso wenig wie ich. Als ich den Motor anließ und einen Blick zu den Nachbarn hinüberwarf, sah ich, dass der Mann mich immer noch beobachtete. Ich winkte kurz, er hob ebenfalls grüßend die Hand. Ein warmes Gefühl durchflutete mich, so wie sich früher Glück angefühlt hatte.
Als ich rückwärts aus der Einfahrt fuhr, schaute ich kurz noch einmal rüber, lächelnd und bereit, ein zweites Mal zu winken, aber niemand sah mehr zu mir her. Die Frau überreichte die mit Alufolie abgedeckte Platte, und ich beobachtete, wie der Mann seine Hand auf ihre Hüfte legte und sie an sich zog, mit der gleichen nicht ernst gemeinten besitzergreifenden Geste, die ich von Patrick kannte. Die Frau lachte zu ihm auf, und der kleine Junge von nebenan ergriff seine freie Hand und zerrte daran, weil er dem Gast offenbar etwas zeigen wollte.
Das warme Gefühl verflüchtigte sich, als hätte mir jemand ins Gesicht geschlagen.
Der Typ hatte mich überhaupt nicht begehrenswert gefunden. Er war bloß einer dieser netten Menschen, die freundlich zu jedem waren. Logisch. Die netten Leute von nebenan kannten natürlich andere nette Leute. Gleich und gleich gesellt sich gern. Oder aber er hatte mich auf eine schleimige, schmierige Weise, die besagen wollte: »Ich hätte nichts gegen einen kleinen Seitensprung, wenn du interessiert bist«, attraktiv gefunden. Wahrscheinlich lächelte er jede Frau so an, nur für den Fall, dass er eventuell eine Chance bei ihr hatte.
Und dann dachte ich: Wo fahre ich denn jetzt hin, verdammteScheiße? Die Vierziger-Geburtstagsparty in dem Haus am Hafen war mir schon so real vorgekommen, dass ich mich fast darauf gefreut hatte.
Ich hatte keinen Ort, an den ich hätte gehen können. Früher hatte es Leute gegeben, die ich hätte anrufen können. Es ist wirklich erstaunlich, wie Freunde einem einfach durch die Hände rinnen, wie ein soziales Netzwerk sich in Luft auflösen kann, als hätte es nie existiert. Was tun, wenn man keine Angehörigen hat, wenn man in einer Stadt wohnt, die so angelegt ist, dass man mit niemandem in Kontakt zu treten braucht, dass man alles mit dem Auto erreichen kann und nirgendwo zu Fuß hingehen und jemandem zunicken muss, dass man seine Einkäufe in seelenlosen Supermärkten erledigt, wo an den Kassen gelangweilte Teenager die Waren einscannen und dabei durch einen hindurchsehen, so als ob man nicht existierte. Und man existiert ja auch nicht; nicht wirklich.
Lebte ich in einer Stadt wie jene, die ich früher einmal planen wollte, gäbe es einen Ort, wo ich hingehen, wo ich mich nicht allein fühlen würde, wo ich eine Tasse Kaffee trinken und ein Buch lesen könnte an einem Platz, der zu einer Unterhaltung einlud.
Was für ein Blödsinn! Ich mache mir doch nur selbst etwas vor. Ich könnte es gar nicht ertragen, an einem bezaubernden Ort zu wohnen, wo ich mich jeden Tag mit jemandem unterhalten müsste, in einer Stadt voller grässlich netter Leute, die mich strahlend anlächeln, wenn ich mir nur eine Tüte Milch kaufen will, ohne gelöchert zu werden, wie mein Wochenende gewesen ist.
Ich bin nicht einsam. Ich bin nur allein. Ich bin allein, weil ich es so will.
Ich weiß genau, was ich tun müsste, um meinen Weg zurück in die Gesellschaft zu finden. Ich könnte mir The Wire ansehen und mit Lance darüber diskutieren, und dann könnte ich ihm eine DVD mit einer Fernsehserie ausleihen und irgendwann zu ihm sagen: »Hättest du nicht Lust, mit deiner Frau mal zum Abendessen zu kommen?« Ich glaube, ich habe seine Frau einmal kennengelernt, oder? Ich könnte eine Reihe von Kollegen fragen: »Wollen wir nach der Arbeit mal was zusammen trinken gehen?« Ich hätte Ja zu dieser Bürofeier vor ein paar Monaten sagen können. Ich hätte Ja zu meinen neuen Nachbarn sagen können. Ich könnte über das Internet Männer kennenlernen, die eine Beziehung – oder zumindest Sex – haben wollen.
Ich bin nicht sozial inkompetent. Ich bin distanziert und manchmal schüchtern, aber nicht auf krankhafte Weise. Ich könnte es tun. Ich habe es schon einmal getan, als ich nach Sydney zog und keine Menschenseele hier kannte. Ich habe am gesellschaftlichen Leben teilgenommen. Ich habe Einladungen angenommen. Ich habe gelächelt und Fragen gestellt und bin auf die Leute zugegangen.
Aber jetzt ist mir das zu anstrengend.
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