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Alles aus Liebe: Roman (German Edition)

Alles aus Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Alles aus Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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über seinen Kopf hinweg, was sie ihnen zu trinken bringen dürfe, und knallte laminierte Speisekarten auf den Tisch. David war sich offenbar nicht sicher, ob Ellen ihn gehört hatte, und wusste nicht, ob er wiederholen sollte, was er gesagt hatte. Ellen wiederum wandte sich an die Kellnerin und bat sie, ihr so schnell wie möglich ein paar Scheiben trockenes Brot zu bringen. Und schon war der Augenblick, wo sie sich für seine Worte hätte bedanken und ihm versichern können, dass auch er eine willkommene Überraschung in ihrem Leben war, vorbei. Diese flüchtige, ein wenigpeinliche Situation hatte Davids mondäne Fassade rissig werden lassen, was Ellen das unbehagliche Gefühl gab, etwas gesehen zu haben, was sie eigentlich nicht hätte sehen sollen.
    Danach beließen sie es bei unverfänglichem Geplauder. Sie unterhielten sich über das Wochenende auf den Whitsundays (Einfach traumhaft! Überwältigend! Die Stimme ihrer Mutter klang ungewöhnlich schrill; sie hörte sich an wie die Mutter von jemand anders.), über das Theaterstück, das sie sich angesehen hatten, über Davids Eindrücke von Sydney nach so langer Zeit. Er war orthopädischer Chirurg und beabsichtigte, sich in ein paar Jahren aus dem Berufsleben zurückzuziehen.
    »Vielleicht werde ich mir dann eine Jacht kaufen und ein Jahr lang um die Welt segeln.« Er sah Anne an. »Na, wie wär’s, hättest du Lust, mein Erster Offizier zu werden?«
    Anne strahlte. »Mit Vergnügen. Vorausgesetzt, es gibt eine Espressomaschine an Bord.«
    Das sind meine Eltern. Ich sitze mit meinen Eltern beim Lunch. Diese Gedanken gingen Ellen einige Male durch den Kopf. Sie stellte sich vor, wie ein Freund oder ein Patient hereinkam, jemand, der ihre Geschichte nicht kannte, und sie sagen würde: »Das sind meine Mum und mein Dad.«
    Wie außergewöhnlich normal.
    Ihr Vater stellte ihr eine Menge Fragen über Hypnotherapie, wobei er lässig Hinweise auf kürzlich gelesene Artikel einfließen ließ. Er hatte sich im Hinblick auf diese Begegnung offensichtlich gründlich über ihr Tätigkeitsfeld informiert, was Ellen auf fast schmerzhafte Weise rührend fand. Er war ein so höflicher, aufmerksamer Zuhörer, dass Ellens Augen verdächtig zu brennen begannen.
    Für einen Mann seines Alters und seines beruflichen Werdegangs stand er alternativen Heilmethoden relativ aufgeschlossen gegenüber. Ihre Mutter ließ sich nicht ein einziges Mal zu einem ihrer üblichen bissigen Kommentare hinreißen, im Gegenteil, sie machte Ellen sogar versteckte Komplimente. »Ellen muss ihre Patienten gelegentlich sogar auf die Warteliste setzen, weißt du«, sagte sie zu David. Und ein paar Minuten später, quasi von Arzt zu Arzt: »Sie kann einige sehr gute Ergebnisse bei der idiopathischen Schmerztherapie vorweisen.«
    Und warum hast du dann nie einen deiner Patienten an mich überwiesen, Mum?, dachte Ellen. Hielt ihre Mutter es für nötig, sie, Ellen, anzupreisen? So als wäre sie eine alleinstehende Mutter und nur im Zweierpack mit ihrer Tochter zu haben, so wie Patrick nur mit Jack zu haben war?
    David erzählte von seinen beiden Söhnen mit der beiläufigen Zärtlichkeit eines Vaters. Sooft er nur ihre Namen nannte, huschte ein Lächeln über sein Gesicht.
    »Haben sie schon selbst Kinder?«, fragte Ellen.
    Sie wollte lieber nicht zu lange über die Tatsache nachdenken, dass diese beiden Männer ihre Halbbrüder waren, zwei völlig Fremde, der eine in der Immobilien-, der andere in der Marketingbranche, beide jünger als sie selbst und auf der anderen Seite der Welt zu Hause, mit englischem Akzent sprechend und mit blasser englischer Gesichtsfarbe. Das war so, als erführe man, dass es die imaginären Freunde aus der Kindheit die ganze Zeit tatsächlich gegeben hatte. Als kleines Mädchen hatte sie ihre Mutter immer wieder gefragt, ob ihr Vater noch andere Kinder habe, und Anne hatte je nach Stimmungslage entweder leichthin oder angespannt geantwortet: »Vermutlich schon.«
    Ellen hatte versucht, sich ihre Geschwister vorzustellen: einen gut aussehenden älteren Bruder, der eine Lederjacke trug und Motorrad fuhr und eine Menge attraktiver Freunde hatte; eine jüngere Schwester, von der sie angehimmelt wurde; eine ältere Schwester, die ihr ihre Schminksachen borgte. Das hatte sie natürlich längst hinter sich gelassen. Was sollte sie jetzt noch mit zwei jüngeren Brüdern anfangen – auf Facebook nachsehen, was sie über ihre Halbgeschwister fand? Sie war eine beschäftigte Frau. Sie hatte

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