Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
im Zündschloss und schaltete die Scheinwerfer ein. Das Licht erfasste den jungen Mann, der sich mit seiner Partnerin gestritten hatte. Den Kopf gesenkt, mit den Armen rudernd, rannte er wie auf einem Football-Feld die Straße hinunter. Ja! Ellen verspürte ein freudiges Kribbeln. Er lief seiner Freundin hinterher, um sie in seine Arme zu reißen und sein Gesicht in ihren Haaren zu vergraben. Wie süß!
Vielleicht rannte er aber auch zurück, um ihr eine runterzuhauen. Das Leben war nicht immer so romantisch, wie man dachte. Ellen fuhr los und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein.
Man sollte doch auch denken, dass die erste Begegnung mit dem leiblichen Vater eine sehr emotionale, anrührende Gelegenheit war. Irrtum.
Die Verabredung zum Lunch war ein katastrophaler Fehler gewesen. Wieso in aller Welt hatte sie geglaubt, ein Treffen tagsüber sei so viel besser als abends? Ein gemeinsames Abendessenwäre die ideale Möglichkeit gewesen, sich zu »beschnuppern«. Sie hatten sich in einem Café in North Sydney getroffen, weil alle drei an diesem Tag in dieser Gegend Termine hatten und das die einfachste Lösung zu sein schien. Das Problem war nur, dass ihr Lunch dadurch wie ein Termin zwischen etlichen anderen wirkte, wie etwas, das man erledigte, um es danach abhaken zu können. Ellen kam sich wie in einer geschäftlichen Besprechung vor, wo man erst den üblichen Small Talk absolviert, bevor schließlich jemand zum Notizblock greift und sagt: »Gut, dann wollen wir mal!«
Und dann diese fürchterliche Beleuchtung! Das Licht war viel zu hell und entlarvend. Sie wollte weder die winzigen schwarzen Bartstoppeln über der Oberlippe ihres Vaters sehen noch die Poren auf seiner Nase noch seine rosige, altersfleckige Kopfhaut, die da und dort durchschimmerte. Sie wollte auch nicht die Soße von seinem marokkanischen Hühnchen-Wrap auf seinen Lippen sehen. Und schon gar nicht wollte sie sehen, wie ihre Mutter sie gut gelaunt mit ihrer Serviette wegwischte! (Ihre Mutter! So lieb und entgegenkommend und feminin. Einmal hatte sie doch tatsächlich an ihrer Frisur herumgefummelt!)
Hinzu kam diese entsetzliche Übelkeit. Sie beeinflusste Ellens Sicht der Dinge, so als färbte sie alles in einem grauenvollen Beige. Abends war es meistens nicht ganz so schlimm. Warum hatte sie nicht eher daran gedacht?
Als sie das Café betreten hatte, musste sie unwillkürlich an Partnersuche per Internet denken, an jenes höchst merkwürdige Gefühl, wenn die Blicke durch den Raum schweifen, auf der Suche nach einem Fremden, den man als potenziellen Lebenspartner ausgewählt hat. Könnte ich mir vorstellen, dich zu küssen, neben dir aufzuwachen, mit dir zu streiten? Doch anders als bei der Partnersuche gab es hier keine »Bei-Nichtgefallen-Geld-zurück«-Klausel. Ganz egal, was Ellen von ihrem Vater hielt – sie würde nicht einfach online gehen und sich einen anderen potenziellen Vater aussuchen können.
Sie hatte ihn zuerst übersehen. Er war nur einer der allgegenwärtigen grauhaarigen Geschäftsleute in teuren Anzügen, die das Café bevölkerten. Aber dann entdeckte sie ihre Mutter. Ellen hätte sie fast nicht erkannt. Sie war so sehr daran gewöhnt, Anne zusammen mit Mel und Pip zu sehen – die drei lachten meistens lauter als alle anderen. Aber diese Frau, die einem grauhaarigen Mann gegenübersaß, wirkte seltsam zusammengeschrumpft. Anstatt aufrecht zu sitzen, kerzengerade wie eine Königin, hatte sie beide Unterarme auf den Tisch gestützt und sich vorgebeugt, den Kopf in einem unterwürfigen Winkel zur Seite geneigt.
Als sie Ellen erblickte, setzte sie sich abrupt auf, als wäre sie bei etwas Unrechtem ertappt worden. Dann lächelte sie und winkte, und Ellen sah einen Ausdruck von Stolz, fast augenblicklich gefolgt von Nervosität über ihr Gesicht huschen.
David, ihr Vater, stand auf, als Ellen auf die beiden zuging, und küsste sie charmant auf beide Wangen, so wie es bei Männern eines gewissen Alters und Einkommens üblich geworden war. (»Diese Küsserei hat total überhand genommen«, hatte Madeline erst an diesem Abend beim Essen bemängelt. »Wenn das so weitergeht, muss man sich im Supermarkt bald mit Küsschen von der Kassiererin verabschieden, nachdem man bezahlt hat.«)
»Freut mich sehr, dich kennenzulernen, Ellen«, sagte er. Als sie sich gesetzt hatten, fügte er hinzu: »Du bist eine höchst willkommene Überraschung in meinem Leben.«
Im gleichen Moment kam eine Kellnerin an ihren Tisch, fragte
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