Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
genug damit zu tun, die Kontakte zu ihren Freunden zu pflegen.
David schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht. Callum ist verheiratet, aber seine Frau scheint es mit dem Kinderkriegen nicht eilig zu haben, und Lachlan genießt sein Junggesellenleben.« Stirnrunzelnd fuhr er nach einer kurzen Pause fort: »Das da«, er machte eine unbeholfene, ausholende Bewegung mit seinem Teelöffel und deutete auf Ellens Bauch, »das da wird also mein erstes Enkelkind sein.«
Er lief fast unmerklich rot an, als wäre er mit dieser Bemerkung zu weit gegangen.
Ellen gab sich großzügig. »Ja.«
»Wer hätte gedacht, dass wir einmal Großeltern werden würden«, murmelte Anne, und Ellen beobachtete, wie ihre Eltern (ihre Eltern !) einen verstohlenen, bedeutungsvollen Blick wechselten.
Ellen hatte ihren Vater die ganze Zeit über heimlich angestarrt, auf der Suche nach Beweisen für ihre gemeinsame DNA. Ihr fielen seine kleinen Ohren und seine guten Zähne auf. Beides hatte ihre Mutter auf ihrer Liste positiver Eigenschaften vermerkt. Von seinem »seltsamen Sinn für Humor« bemerkte sie allerdings nichts, wahrscheinlich, weil er nervös war. So wie sie selbst und Anne auch. Keiner von ihnen war wirklich er selbst. David musste sie ebenfalls prüfend betrachtet haben, denn irgendwann sagte er plötzlich: »Ich glaube, du hast die Augen meiner Mutter.«
Dieser Satz brachte Ellen an den Rand eines emotionalen Abgrunds. Sie stand kurz davor, etwas Überwältigendes zu fühlen: Verlustschmerz beim Gedanken daran, was hätte sein können? Beim Gedanken an die Familie, die sie nie gekannt hatte? Großeltern waren ihr wunder Punkt.
»Sie hat Tarot gelegt, nicht wahr?«
Er schaute sie verblüfft an. »Stimmt, das hat sie. Das war so ein komisches Hobby von ihr. Woher in aller Welt hast du davon …«
»Deine Mutter hat mir einmal aus den Karten gelesen«, fiel Anne ihm ins Wort. (David wusste vermutlich nichts von ihrer Punktevergabe für die potenziellen Vaterschaftskandidaten.) »Weißt du nicht mehr? Sie hat mir eine Reise in ferne Länder vorausgesagt. Sie hat bestimmt gehofft, ich unternähme eine weite Reise, die uns auseinanderbringen würde. Sie hat mich nicht sonderlich gemocht.«
»Ich glaube, sie hat dich als Bedrohung gesehen«, sagte David lächelnd. »Sie hatte Jane sehr gern.«
»Jane war deine Frau?« Ellen wurde unwillkürlich rot, weil David seine Frau betrogen hatte, als Ellen gezeugt wurde – sie hatte törichterweise Schuldgefühle deswegen.
David räusperte sich. »Ja.«
Er hob seine Cappuccino-Tasse an den Mund. Anne klopfte mit ihrem Teelöffel nervös an den Rand ihrer Untertasse. Am Nebentisch saßen zwei Frauen vor einem aufgeklappten Laptop und unterhielten sich lebhaft über die »schlechten Rücklaufquoten«.
»Meine Mutter starb 1998«, fuhr David fort. »Sie hätte dich gemocht. Dein Beruf hätte ihr gefallen.«
»Ich glaube nicht, dass sie über meine Existenz erfreut gewesen wäre«, erwiderte Ellen, aber sie lächelte dabei, um ihm zu bedeuten, er solle sich keine Sorgen deswegen machen, das sei alles völlig unwichtig, sie sei kein verstörter Teenager mehr, das alles liege so lange zurück.
»Trotzdem«, murmelte er und nagte an seiner Unterlippe. »Trotzdem …«
Er warf einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich fürchte, ich muss los. Es war mir wirklich ein Vergnügen, Ellen. Ich hoffe, wir treffen uns bald wieder. Und ich würde auch gern deinen zukünftigen Mann kennenlernen … äh … Patrick, nicht wahr? Natürlich nur, wenn es dir recht ist.«
Gott, was für eine grauenvoll merkwürdige Situation! Die Begegnung endete genau wie das erste Treffen mit einer Internetbekanntschaft: Er schlägt eine zweite Verabredung vor, obwohl er ziemlich sicher ist, dass er keine Chance bei ihr hat, aber er denkt, es könnte einen Versuch wert sein.
»Aber sicher, gern!«, erwiderte Ellen. Sie hatte in den Internetpartnersuchemodus geschaltet und lächelte gekünstelt.
David küsste beide Frauen zum Abschied. Beim Hinausgehen hielt er an der Kasse inne und bezahlte schnell und effizient die Rechnung. Er war eindeutig ein Mann, der stets ganz selbstverständlich die Rechnung übernahm.
»Und, was sagst du?«, fragte Anne, den Blick auf David gerichtet. Er drehte sich nicht um. Er schaute auf sein iPhone, als er das Café verließ. Der Ausdruck in Annes wunderschönen blauvioletten Augen erinnerte Ellen an Patricks Gesichtsausdruck an Colleens Grab. War es Sehnsucht? Ellen bekam schlechte
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