Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
Fünfzigerjahren so gemacht.
Außerdem hatte sie ihn nicht angewiesen, ihre Suggestion bezüglich der Kartons nach dem Aufwachen zu vergessen. Er müsste sich dessen also bewusst sein. Sie würde ihn darauf ansprechen. »Es hat dir doch nichts ausgemacht, dass ich gestern Abend die Kartons erwähnt habe, oder?«, würde sie beiläufig bemerken.
Natürlich erst, nachdem er sie weggeschafft hatte. Es gab keinen Grund, die Rede bereits vorher darauf zu bringen.
»Tschüs, Ellen!« Jack kam mit seiner Schultasche in die Küche gerannt.
»Hast du dein Mittagessen eingepackt?«
Nachdem Ellen gesehen hatte, was Patrick ihm jeden Tag in die Schule mitgab – ein mit Würzaufstrich geschmiertes, lappiges Weißbrotsandwich (wer aß denn heutzutage noch Weißbrot? Galt das nicht sogar schon als gesetzwidrig?) und einen grünen Apfel – , hatte sie es übernommen, die Mahlzeiten zuzubereiten. »Er sollte bei jeder Mahlzeit Proteine zu sich nehmen«, hatte sie zu Patrick gesagt. Der hatte protestiert: Er sei nicht so sexistisch, dass er von ihr erwarte, für Jack zu kochen, bloß weil sie eine Frau sei. Außerdem habe er jahrelang Jacks Schulimbiss zubereitet, und Jack würde sowieso nichts anderes essen, und der Würzaufstrich sei sicher auch irgendwie eiweißhaltig. Aber Ellen hatte mit Nachdruck darauf bestanden, die Sache in die Hand zu nehmen. Seit der Junge bei ihr wohnte, hatte sie das Gefühl, dass sie für seine Ernährung verantwortlich war. Schuld daran war der Anblick seines herzzerreißend schmächtigen Körpers. Jedes Mal, wenn es ihr gelang, ihn dazu zu bewegen, etwas wirklich Gesundes zu essen, empfand sie eine tiefe Genugtuung, so als ob ein angeborenes, biologisches Bedürfnis befriedigt würde. Sie schaute ihm beim Essen zu und bewegte ihre Lippen praktisch im Gleichklang mit seinen. Abends ging sie im Geist noch einmal durch, was Jack den Tag über zu sich genommen hatte, als müsste sie einen Bericht über seine Ernährung für jemanden zusammenstellen. Für Patrick ganz sicher nicht, eher für Jacks Mutter: Das habe ich deinem Sohn heute zu essen gegeben, Colleen – eine ausgewogene Mischung von Kohlehydraten und Proteinen.
An diesem Tag hatte sie ihm einen Thunfisch-Reis-Wrap, eine kleine Portion Obstsalat und einen Becher Joghurt in seine Lunchbox gepackt. Sie nahm sie aus dem Kühlschrank und reichte sie Jack, der sie lustlos entgegennahm.
»Den Joghurt kannst du über den Obstsalat schütten«, sagte sie.
Jack sah sie ausdruckslos an.
Ellen seufzte. Sorgte er sich immer noch wegen des bevorstehenden Armageddon? Oder sehnte er sich nach seinem Würzaufstrichsandwich? Ihre Bemühungen, den Jungen gesund zu ernähren, schienen nicht zu fruchten: Er sah müde und erschöpft aus.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte sie. »Vielleicht solltest du heute lieber daheim bleiben.«
»Nöö«, antwortete Jack. »Ich geh nach der Schule noch zu Ethan.«
Ellens und Patricks Blicke trafen sich. Er würde sie unterstützen, wenn sie darauf bestand, dass Jack zu Hause blieb. Er zog immer mit ihr an einem Strang, wenn es um eine erzieherische Maßnahme ging.
»Na schön, aber komm nicht zu spät nach Hause, okay?«
»Bestimmt nicht, was, mein Junge?« Patrick zerzauste ihm auf seine raue, aber herzliche Art die Haare. »Und vor den Computer setzt du dich nur noch, wenn ein Erwachsener dabei ist. Wir werden Geheimagentenklubs googeln.«
Jack verdrehte genervt die Augen.
Als Vater und Sohn das Haus verlassen hatten, schlug Ellen in ihrem Terminkalender nach, wen sie an diesem Morgen eingetragen hatte, bevor sie zu der Ultraschalluntersuchung fuhren.
Luisa Bell.
Es war auf traurige Weise unpassend, dass sie ausgerechnet am Tag ihrer ersten Ultraschalluntersuchung eine Patientin wegen »unerklärlicher Unfruchtbarkeit« behandelte.
Vielleicht war es aber auch auf wunderbare Weise passend. Ellen nahm sich vor, alles in ihrer Macht Stehende für Luisa zu tun.
Übelkeit erfasste sie plötzlich, und sie blickte sich suchend nachihrem »Wohlfühlstein« um. Das war der hübsch geformte Stein, den sie kurz nach ihrer ersten Begegnung mit Patrick am Strand gefunden hatte. Sie benutzte ihn im Rahmen ihrer Selbsthypnose gegen die morgendliche Übelkeit, besser bekannt als Verdammte-rund-um-die-Uhr-Übelkeit. Sie rollte den Stein sanft über ihren Bauch, um so ihrem Unterbewusstsein zu helfen, die Übelkeit zurückzudrängen. Das Problem war nur, dass sie den Stein nicht finden konnte. Das letzte Mal hatte sie
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