Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
letzte Woche kam es mir schlagartig. Ich langweilte mich.«
»Du hast dich gelangweilt«, wiederholte Ellen. Plötzlich tat ihr Vater ihr unendlich leid.
»Ich habe mich zu Tode gelangweilt«, bekräftigte Anne.
»Na ja, aber das kann schon mal passieren …«
»Nein«, sagte Anne mit Bestimmtheit. »Er ist nicht der Richtige für mich. Er war nie der Richtige für mich. Er hat zu wenig zu sagen ! Und dann hat er Phasen, wo er nichts tut. Buchstäblich nichts. Neulich morgens saß er zwanzig Minuten in einem Sessel und tat nichts. Geschlagene zwanzig Minuten lang. Er las nicht. Er redete nicht. Starrte nur die Wand an. Was soll das?«
»Na ja, vielleicht hat er die Schönheit der Natur bewundert«, sagte Ellen. »Oder ein paar Minuten still meditiert, über sein Leben nachgedacht, für das er dankbar ist. Oder Achtsamkeit praktiziert oder …«
»Das war eine rhetorische Frage, Ellen. Ich dachte wirklich, sein Gehirn hätte seine Funktion eingestellt. Wie auch immer, wie die jungen Leute so redegewandt sagen. Es ist mir egal, was er tut, ich weiß nur, dass es mich rasend macht. Natürlich werden wir Freunde bleiben. Wir haben uns in bestem Einvernehmen getrennt. Und er sagt, er würde dich sehr gern wiedersehen, wenn du möchtest.«
Ellen nickte. »Ja, das wäre schön.«
Plötzlich hatte sie nichts mehr gegen ein Treffen mit ihrem Vater einzuwenden, der Gedanke hatte sogar etwas Besänftigendes. Sie dachte an verregnete Sonntagnachmittage ihrer Kindheit zurück, als sie auf dem Fußboden auf einem Teppich gelegen und gebannt zugesehen hatte, wie die Regentropfen an der Fensterscheibe hinunterrannen, und ihre Mutter immer wieder ungeduldig ins Zimmer geschaut und gesagt hatte: »Ellen, was machst du denn? Komm, lass uns rausgehen! Lass uns reden! Lass uns irgendetwas machen !«
Vielleicht könnten sie und ihr Vater Zeit miteinander verbringen, ohne dass irgendetwas gesprochen werden musste. Ohne unbeholfene Gespräche, um sich »besser kennenzulernen«. Sie könnten einfach nur zusammen sein. Vater und Tochter. Und wenn sie nichts füreinander empfanden als eine vage Sympathie, dann war das völlig in Ordnung.
»Das heißt also, dass ich jetzt, im zarten Alter von sechsundsechzig Jahren, endlich bereit bin für eine richtige Beziehung, jetzt, wo ich mich von meiner lächerlichen Fixiertheit auf eine Romanze, die es im Grunde nie gegeben hat, verabschieden kann. Wer weiß, vielleicht gehe ich online shoppen nach einem neuen Mann. Das soll ja bei den über Sechzigjährigen groß in Mode sein. Und denk doch nur, wie erfolgreich die Suche übers Internet bei dir war!«
»Ja«, pflichtete Ellen ihr bei und dachte: Er wird niemals eine andere Frau so sehr lieben, wie er Colleen geliebt hat. Vielleicht war die Suche doch nicht ganz so erfolgreich.
»Wo wir gerade davon sprechen …« Anne senkte ihre Stimme. »Ich wollte dir schon lange sagen, wie gern ich Patrick mag. Wirklich. Sehr gern sogar. Es hat zwar eine Weile gedauert, bis ich mit ihm warm wurde …«
»Er ist nebenan!«, zischte Ellen.
»Und wenn schon, ich sage ja nur nette Sachen über ihn. Ich mag die Art, wie er dich ansieht. Du hast recht gehabt. Jon war unterhaltsam, aber er hat dich nie so angesehen, wie Patrick dich ansieht.«
»Wie sieht er mich denn an?«, fragte Ellen.
»Und er ist ein guter Vater.«
»Störe ich?«
Ellen und Anne drehten sich um. Maureen stand in der Tür, schmutzige Teller auf beiden Unterarmen gestapelt.
»Ich habe gerade gesagt, was für ein guter Vater Patrick ist.« Anne stand auf und nahm Maureen ein paar Teller ab.
Maureen strahlte. Dann hörten sie eilig trappelnde Schritte im Flur und Jack brüllen: »Ich hasse dich!«
»Schön!«, schrie Patrick zurück. »Von mir aus kannst du dir auch den anderen Arm brechen!«
Maureens Gesicht verdunkelte sich ein wenig. Aber sie fing sich wieder und begann, mit einem Messer Essensreste von den Tellern zu schaben.
»Dieses windige Wetter macht den Leuten wirklich zu schaffen, nicht wahr? Gibt es vielleicht eine medizinische Erklärung dafür, Anne?«
Ich muss eingeschlafen sein. Mir war nämlich, als hätte ich nur geblinzelt, und dann war Tammy auf einmal da. Sie und Lance und Kate saßen in einem kleinen Halbkreis an meinem Bett und knabberten Pralinen.
Tammys ehemals lange, dunkle Haare waren jetzt kurz und rotblond. Ein Fehler, dachte ich.
Lance und Tammy unterhielten sich angeregt, wobei sie miteinem seltsamen Akzent sprachen, die Achseln zuckten und ihr
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