Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
amerikanischem Akzent, Lieder über untreue Frauen und Herzen so kalt wie Stein. Ellen kam es manchmal so vor, als hätte sie den wahren Patrick gar nicht gekannt, als hätte sie sich in einen kranken Mann verliebt, der erst jetzt gesund geworden war. Sie betrachtete das als zusätzlichen Bonus, als unverhofftes Geschenk, das sie zu ihrer Bestellung erhalten hatte.
Es machte sie aber auch wütend. Sie nahm es im Nachhinein nicht nur Saskia, sondern auch sich selbst übel, weil sie nicht erkannt hatte, wie sehr ihn die Situation belastet, wie sehr sie ihn möglicherweise für alle Zeit geprägt hatte.
Einmal, als Gracie erst wenige Wochen alt gewesen war, hatten sie sich eine Dokumentation über eine Frau angesehen, die jahrelang von ihrem Exmann gestalkt worden war.
»Genauso habe ich mich auch gefühlt«, sagte Patrick an einer Stelle.
Wie furchtbar das für sie war! Für das Verhalten ihres Exmannes gab es keine Entschuldigung. Seine Beweggründe interessierten Ellen nicht. Er war schlicht und einfach ein schlechter Mensch, ein Krimineller, der die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen sollte. Während Ellen, die schlafende Grace an ihre Schulter geschmiegt, die weinende Frau im Fernsehen beobachtete und mit ihr litt, wurde ihr schlagartig bewusst, dass sie für Patrick nicht einmal einen Bruchteil des Verständnisses, der Anteilnahme gezeigt hatte, wie sie sie für diese wildfremde Frau empfand. Ihre Blindheit verschlug ihr regelrecht den Atem.
»Es tut mir so leid, was du da durchmachen musstest«, sagte sie leise.
»Na ja, für eine Frau ist das, glaube ich, noch viel schlimmer«, erwiderte er achselzuckend.
Beim Autofahren blickte er immer noch öfter in den Rückspiegel, als ein durchschnittlicher Fahrer das tat, und wenn sie ein Restaurant betraten, ließ er seine Blicke immer noch durch den Raum schweifen, als wäre er in einem früheren Leben ein Geheimagent gewesen, aber dieses Stirnrunzeln, diesen permanenten vorsichtigen, wachsamen Ausdruck hatte er verloren. Er litt nicht mehr an Schlaflosigkeit, und er war vitaler. Er sah jünger aus. »Ich komme mir vor, als hätte ich eine furchtbare Krankheit überstanden«, sagte er einmal. »Jedes Mal, wenn ich mein Telefon auf Nachrichten überprüfe und meine E-Mails durchsehe und Saskias Namen nicht dabei entdecke, ist das, als hätte ich einen Preis gewonnen.«
Sie hatten noch keine Zeit zum Heiraten gefunden, aber redeten müßig und ungezwungen darüber. Patrick schwärmte immer noch von einer Trauung in Übersee, was Ellen als Zeichen dafür wertete, dass er noch nicht vollständig genesen war – er fürchtete offenbar immer noch, Saskia könnte unverhofft auftauchen.
Ellen fragte sich, ob Saskia ihrem Rat gefolgt war und Sydney verlassen hatte. Sie fragte sich auch, ob sie immer noch Schmerzen im Bein hatte und ob sie endlich jemand anderen kennengelernt hatte. Sie hätte das alles zu gern gewusst, aber sie war abergläubisch: Sie hatte Angst, Saskia könnte wie ein Geist aus der Vergangenheit wieder in ihrer aller Leben erscheinen, wenn sie ihren Namen auch nur googelte.
Sie schaute zu, wie Patrick Jack das Baby abnahm, nachdem er den Strandschirm aufgestellt hatte. Er schwang Grace hoch in die Luft, und Ellen wusste, wie sie vor Vergnügen krähen und in Patricks Haare fassen würde. Grace’ Lachen war köstlich, das essbarste Geräusch, das Ellen je gehört hatte.
Jack rannte am Wasser entlang über den Sand, machte dann einen Handstand und spazierte ein paar Sekunden auf den Händen weiter, die Beine gerade nach oben ausgestreckt.
»Pass auf«, murmelte Ellen.
An diesem Morgen hatte er ihr von dem bevorstehenden Sportfest erzählt. »Ich hab allen gesagt, dass du den Wettlauf der Mütter gewinnen wirst, weil du die anderen Mütter hypnotisieren wirst! Peng, peng, peng! Und eine nach der anderen fällt um!«
Die anderen Mütter … Ein elektrisierendes Gefühl der Freude hatte sie bei diesen Worten erfasst, die der Junge unbewusst, ganz beiläufig ausgesprochen hatte. Im Geist hatte sie Colleen um Verzeihung gebeten.
Wie würde das sein, wenn sie wüsste, sie hätte nicht mehr lange zu leben und jemand anders würde Grace großziehen? Früher, bevor sie Mutter geworden war, hatte sie ein heimliches, wehmütiges Vergnügen dabei empfunden, sich ihre eigene Beerdigung auszumalen. Aber jetzt war der Gedanke, irgendjemand könnte Entscheidungen über Grace’ Leben treffen, schlicht unerträglich.
Es tut mir unendlich leid, dass es
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