Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
eigenartiges Gefühl von Panik erfasste Ellen, so als wäre ihr gerade eingefallen, dass sie vergessen hatte, den Herd auszuschalten.
»Manchmal musste sie sich zum Kochen hinsetzen, weil sie einfach nicht mehr stehen konnte«, fuhr Patrick nachdenklich fort. »Die Schmerzen veränderten ihre Persönlichkeit. Sie war ein sportlicher Typ gewesen. Ich fühlte mit ihr, aber irgendwann war ich nur noch frustriert, weil ich ihr nicht helfen konnte. Sie dachte, ich verlöre die Geduld mit ihr, aber das stimmte nicht. Sie tat mir schrecklich leid. Wirklich. Ich war total frustriert, weil ich nichts für sie tun konnte. Das erinnerte mich an Colleens Krankheit. Dieses Gefühl völliger Hilflosigkeit. So als ob man spürt, dass man einen Kampf verliert, und man kann nicht einmal zum Schlag ausholen.«
Patrick verrenkte sich den Kopf nach der Flugbegleiterin. »Sollen wir einen Drink bestellen? Wir müssten ihn allerdings bezahlen, damit es nicht so unanständig aussieht. Das ist das Problem mit diesen Billigflügen.«
Das kann doch kein Zufall sein, oder?
Ha, das ist lustig, eine Patientin von mir hat genau das gleiche Problem. Ellen hätte es fast laut ausgesprochen, um die Möglichkeit zu testen. Doch das war nicht nötig. Sie wusste, das war kein Zufall, und sie wusste auch, Patrick würde ebenfalls sofort klar sein, dass das kein Zufall war.
Deborah.
Wie hieß sie doch gleich mit Nachnamen?
Vandenberg. Deborah Vandenberg.
Ellen konnte Deborahs Gesicht deutlich vor sich sehen. Sie war zu spät gekommen bei ihrem allerersten Termin. Sie hatte ein bisschen seltsam gewirkt, ein bisschen misstrauisch, aber das galt für viele ihrer Patienten bei ihrem ersten Termin. Sie hatten noch nie einen Hypnotherapeuten gesehen und fragten sich, was sie wohl erwarten mochte. Sie guckten sich vorsichtig nach allen Seiten um, als rechneten sie damit, in eine Comedy-Falle zu tappen.
»Ich habe solche Schmerzen im Bein«, hatte sie zu Ellen gesagt und war mit der Hand über ihren langen, schlanken, jeansbekleideten Schenkel gefahren. Manchmal müsse sie sich zum Kochen hinsetzen, hatte sie erzählt. Sie hatte auch erwähnt, dass sie bei »so einem schmierigen« Arzt gewesen sei, der gefragt habe, ob sie in letzter Zeit »Stress« gehabt habe, und die implizite Unterstellung, sie bilde sich ihre Schmerzen nur ein, habe sie so wütend gemacht, dass sie die Praxis ohne ein weiteres Wort verlassen habe.
Deborah war Saskia.
Saskia war Deborah.
Da hatte der Gedanke an Saskia sie praktisch Tag und Nacht verfolgt, und dabei kannte sie sie bereits, sie hatte mit ihr gesprochen, sie hatte sie in ihr Haus gelassen . Saskia war eine hochgewachsene, attraktive Person mit einer auffälligen Augenfarbe. Haselnuss. Fast golden. Wie die Augen eines Tigers. (Ellen achtete auf die Augen anderer Menschen. Das kam daher, dass sie im Schatten der blauvioletten Augen ihrer Mutter aufgewachsen war.) Gut gekleidet. Redegewandt. Ellen wäre niemals auf die Idee gekommen, dass sich hinter diesem Äußeren eine Stalkerin verbarg. Sie hatte sich Saskia immer als verhuschtes, verrücktes kleines Mäuschen vorgestellt. Warum nur glaubte sie, große Menschen könnten nicht verrückt sein? Weil sie aussahen, als beherrschten sie die Welt? Weil sie sie bewunderte und um ihre langen Beine beneidete?
Sie spürte Patricks Hand auf ihrem Arm. »Ellen? Hätte ich dir einen Drink bestellen sollen?«
Interessanterweise mochte sie sie – Deborah / Saskia. Sie hatte ihre Sitzungen, ihre Unterhaltungen genossen. Einmal hatte sie ihre Stiefel bewundert, und Deborah / Saskia hatte gemeint, sie seien nicht nur bildschön, sondern vor allem auch bequem. Und da hatte sich Ellen genau das gleiche Paar gekauft. Sie hatte noch nie so viel Geld für ein Paar Schuhe ausgegeben.
Und diese Stiefel hatte sie jetzt an.
»Nein, danke, ich möchte nichts«, antwortete sie auf Patricks Frage, während sie ihre Beine anwinkelte und die Füße unter ihren Sitz stellte.
Hatte Saskia sie tatsächlich wegen der Schmerzen in ihrem Bein aufgesucht? Oder war das nur ein Vorwand gewesen? Aber was genau bezweckte sie? Wollte sie Ellen nur beobachten? (So wie Ellen gern heimlich einen Blick auf Jons neue zukünftige Frau geworfen hätte, die Dentalhygienikerin; allerdings würde sie nie einen Termin bei ihr vereinbaren, so neugierig war sie nun auch wieder nicht, und außerdem wäre es ihr schrecklich peinlich, wenn jemand dahinterkäme.)
Patrick seufzte und streckte seine Beine
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