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Alles aus Liebe: Roman (German Edition)

Alles aus Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Alles aus Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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war auf verletzende Weise sarkastisch. Er hat mich wie eine Idiotin behandelt. Er hat mir Dinge an den Kopf geworfen, die an übelste Beschimpfung grenzen.«
    »Ach, Ellen, das ist doch nicht wahr! Versuch jetzt nicht, die Geschichte umzuschreiben. Vor allem nicht so, dass du als Opfer dastehst. Ich hasse diese Opfermentalität der Frauen heutzutage. Es war einfach eine Beziehung, die gescheitert ist. Er war kein Monster.«
    »Jon hat mich sehr unglücklich gemacht«, erwiderte Ellen. Und ob er ein Monster war! Ihre Stimme zitterte. Sie dachte an ihre Teenagerzeit zurück, als sie fünfzehn wurde und ihre Hormone verrückt spielten und scheinbar jede Unterhaltung mit ihrer Mutter damit endete, dass sie, Ellen, in Tränen ausbrach. »Und Patrick macht mich sehr glücklich.«
    »Nun, dann ist ja alles in Ordnung«, sagte Anne im gleichen knappen, vernünftigen, beschwichtigenden Ton, der die fünfzehnjährige Ellen zur Weißglut getrieben hatte. »Hör nicht auf mich. Sieh mich doch an! Was weiß ich schon über die Männer?«
    »Nichts«, murrte Ellen. »Du weißt gar nichts.«
    Ihre Mutter hob die Brauen und griff nach ihrer Teetasse. »Ich wollte dich nicht aufregen.«
    »Du hast mich aber aufgeregt«, maulte Ellen schmollend. Siebenahm sich wirklich wie ein Teenager. Wo war denn ihre emotionale Intelligenz geblieben?
    »Das wollte ich nicht, entschuldige. Das tut mir wirklich leid.« Anne tätschelte unbeholfen Ellens Schulter. »Du bist wirklich sehr blass heute.«
    »Wahrscheinlich, weil ich schwanger bin«, sagte Ellen und löste sich in eine wohltuende, verschwenderische Flut salziger Tränen auf.
    Ich habe mich am Dienstag krankgemeldet und bin mit meinem neuen Bodyboard an den Strand von Avalon gefahren.
    So etwas habe ich noch nie gemacht. Ich bin so erzogen worden, dass blaumachen unmoralisch ist. Meine Mutter würde das nicht verstehen. Ein regelmäßiges Einkommen war ihrer Meinung nach etwas Wunderbares, etwas, das vor allem eine Frau nie als selbstverständlich betrachten sollte. Ich kann heute noch die Ehrfurcht in ihrer Stimme hören, als sie den Leuten von meinem allerersten Job nach dem Studium erzählte: »Saskia hat eine Stelle bekommen!«
    Ich weiß noch, wie verdutzt sie war, als ich einmal etwas von »Erfüllung im Beruf« sagte. »Aber Schatz, du wirst doch dafür bezahlt!« Sie hatte Angst, ich könnte meinem Chef gegenüber patzig werden. Krankfeiern wäre in ihren Augen schlichtweg verrückt, gefährlich und sehr unhöflich gewesen.
    Tut mir leid, Mum, aber ich habe heute einen Tag für meine »psychische Gesundheit« gebraucht.
    »Psychische Gesundheit«, hätte sie verächtlich geschnaubt.
    Sie glaubte nicht an moderne Leiden wie Depression oder Magersucht. Als beim Sohn eines Bekannten eine klinische Depression festgestellt wurde, sagte meine Mutter voller Abscheu: »Dieser dumme Mensch hat doch keinen Grund, traurig zu sein! Er hat eine gute Stelle! Eine Frau! Ein Baby!«
    Sie glaubte an Trauer über einen Todesfall und Freude über eine Geburt und an Liebe und Ehe und an bodenständiges, gesundes Essen und an ein sauberes, ordentliches Zuhause. Alles andere war nur »dummes Zeug«.
    Ob sie meinen völligen Zusammenbruch nach der Trennung von Patrick wohl auch als dumm bezeichnet hätte? Sie hat ihn abgöttisch geliebt und Jack natürlich auch. Patrick war wie ein Schwiegersohn und Jack wie ein Enkel für sie.
    Patrick wird inzwischen die Eltern der Hypnotiseurin kennengelernt haben. Die Vorstellung, dass er mit ihrer Mutter plaudert, höflich und bemüht, sie zu beeindrucken, so als ob meine liebe Mutter nie existiert hätte, als ob sie lediglich ein Übungsobjekt für die richtige Schwiegermutter gewesen wäre – dieser Gedanke erfüllt mich mit einer alles vernichtenden Sturzflut blinder Wut.
    Ich greife nicht mehr zum Telefon, um meine Mutter anzurufen, wie ich das noch Monate nach ihrem Tod gemacht habe. Manchmal hatte ich sogar schon ihre Nummer gewählt, bevor es mir wieder einfiel, dann legte ich schnell wieder auf, bevor irgendjemand Fremdes sich meldete. Ich denke nicht mehr bei jedem Telefonläuten: Das wird Mum sein. Aber ich vermisse sie noch immer. Jeden einzelnen Tag.
    Vom Verstand her ist mir klar, dass der Tod eines Elternteils zum Leben gehört. Niemand würde den Tod einer schwer kranken Achtzigjährigen als Tragödie bezeichnen. Bei ihrer Beerdigung gab es feuchte, gerötete Augen und leises Schniefen. Kein herzzerreißendes Schluchzen. Heute denke ich, ich hätte

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