Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)
ich seelisch und körperlich Kranken und Behinderten mit manchen siegessicheren Predigten zugemutet habe. Ich entschuldige mich auf diesem Wege für manch allzu vollmundigen Auftritt.
Diese Zweifel entfachen in mir nicht die Frage, wie Gott das zulassen kann. Die Frage hat sich mir nie gestellt. Die Zweifel provozieren auch nicht die grundsätzliche Frage nach der Existenz Gottes. Es ist vielmehr die Einsicht, dass mein harmonisches Bild von Gott in die Krise gekommen ist.
Es spricht viel für die Existenz Gottes, aber auch viel dagegen. Seit ich krank bin, nagt der Zweifel. Parkinson schwächt meine gewohnte seelische Stabilität und bestürmt mein Denken mit Fragen, die mir vorher nie in den Sinn gekommen sind. Eigentlich müsste ich beim gemeinsam gesprochenen Glaubensbekenntnis im Gottesdienst einfach mal still sein. Denn das habe ich inzwischen gelernt: Wer nicht zweifeln kann, der kann auch nicht glauben! Bei Kierkegaard heißt es: »Ohne Unsicherheit kein Glaube!«
Mein Glaube wird bis zum letzten Atemzug den Zweifel zur Schwester haben. Das ist neu. Vor der Diagnose hatte mein unerschütterliches Gottvertrauen immer wieder so viel Bestätigung erhalten, dass der Zweifel kaum eine Chance hatte, mich zu verunsichern. Diese durch Parkinson aufgeladene Unsicherheit, diese Skepsis gegenüber einer stets lobpreisenden Halleluja-Frömmigkeit, die das »Herr, erbarme dich!« vergessen hat, das ist es, was mein Leben in Spannung hält. Diese letzte Unsicherheit, die mich angesichts des Leides in unserer Zeit ständig wach hält, hat letztlich eine den Glauben festigende Kraft. Wo sich der Zweifel aufbäumt und die Vernunft kapitulieren muss, da bricht die Suche nach einem Halt auf, der außerhalb unserer Möglichkeiten liegt. Und diese Suche ist in der Erfahrung und der Gewissheit fündig geworden, dass Gott mich hält und trägt.
»In der Wüste … da hast du gesehen, dass dich der Herr, dein Gott, getragen hat, wie ein Mann seinen Sohn trägt …« (5. Mose 1,31).
Ein zärtlich starkes Bild für mein geborgenes Leben. Wie selbstbewusst habe ich meine Söhne getragen, als sie noch tragbar waren. Alle sollten es sehen. Und die gleichen Jungs brachten es fünf Minuten später fertig, den stolzen Vater zu provozieren und sich so danebenzubenehmen, dass ich die Burschen lieber versteckt hätte.
So zärtlich wird hier das Vaterherz Gottes beschrieben. So heil kann die Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf sein, selbst wenn wir uns ständig danebenbenehmen.
Heil zu sein, die Verwundungen überwunden zu haben, das ist mehr als ein zitterfreies Leben und ewige Jugend. Da ist der Anker für meine bebende Existenz, das ist stabiles Vertrauen im Horizont alter und neuer Zweifel.
Obwohl also mein ganzes Leben um Gott kreist und sich meine berufliche Laufbahn allein darauf bezieht, im Auftrag Gottes zu handeln, ist im Zuge meiner neurologischen Erkrankung ein nagender Zweifel am Wesen Gottes entstanden – nicht an seiner Existenz. Kennt dieser ferne und fremde und zugleich nahe und vertraute Gott meine Situation? Denke ich zu menschlich von Gott?
Ich weiß, dass ich Gott um alles bitten darf. Es gibt keine ungebührlichen Gebete, weil das Gespräch mit Gott Vertrauenssache ist. Ich werde weiter kindlich beten. Aber ist es nicht fragwürdig, für das »rechte Wetter« zu beten? Ein Wetter, das es allen recht macht. Wie beschämt fühlen wir uns beim Gebet für trockenes Wetter beim kirchlichen Sommerfest, während unzählige Menschen fünf Flugstunden südlich von hier den Hungertod sterben, weil es seit Jahren nicht mehr regnet. Die einen wollen im Trocknen grillen, während Millionen im Trocknen zu Tode gegrillt werden.
Nein, Gott haftet nicht für anständiges Grillwetter im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Aber wenn jeder sechste Mensch unterernährt ist und über eine Milliarde Menschen hungern, dann ist das erstens eine Anfrage und Aufgabe an mich und zweitens ein Grund zur Klage gegenüber Gott.
Zurück zum Pro und Kontra des Glaubens. Solange es beim Fußballspiel 1:1 steht, ist noch alles drin zwischen Sieg und Niederlage, zwischen Frust und Party. Die Hoffnung stirbt zuletzt, häufig sogar erst in der Nachspielzeit. Erst wenn der erlösende oder vernichtende Schlusspfiff kommt, ist alles vorbei. Unentschieden. Keine Entscheidung. Fifty-fifty! Remis! Alles bleibt offen. Vergeblich gekämpft. 1:1 fühlt sich meist an wie 0:0, oder wie Null-Null, der Ort, wo jeder am liebsten ganz allein ist.
Unentschieden
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