Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)
auch berufstätig ist. Der Herr Gemahl ist ja zu Höherem berufen. Irgendwann sagte sie zu mir: »Du bist mit deinem Computer verheiratet!« Ich fand das banal und zu klischeehaft. »Aber nicht doch, mein Schatz, nur noch diese Mail.« Irgendwann ist sie dann allein zu Bett gegangen. Und dann habe ich mal nachgerechnet, wie viel Zeit ich zu Hause mit meiner Frau verbringe und wie viel mit meinem kleinen schwarzen Kommunikationsassistenten. Diese Einsicht war nicht banal, sie war frustrierend.
Ich liebe meine Arbeit und tue sie mit Begeisterung, rund um die Uhr. Ich komme abends aus dem Büro und mache zu Hause direkt Fortsetzung am Laptop. Selbst vor dem Fernseher bearbeite ich nebenbei Mails. Ich bin ein Kommunikationsknecht geworden. Alles für den H ERRN ? Da bin ich mir schon lange nicht mehr sicher.
Als unsere Kinder klein waren, war ich im Jahr bis zu 150 Tage beruflich unterwegs. Das war völlig normal. Aber wenn ich dann zu Hause war, war ich wirklich zu Hause, auf der Baustelle unseres Eigenheimes, im Garten, mit der Familie unterwegs. Heute gibt es kaum noch Grenzen zwischen Privatem und Geschäftlichem, es fließt alles ineinander, weil wir überall online und einsatzfähig sind. Alles ist Büro, alles ist Dienst. Selbst im Krankenbett sind wir Knechte der ständigen Verfügbarkeit. Und unser Gehäuse verfällt: das, was die Bibel einen Tempel des Heiligen Geistes nennt.
Ob Parkinson meinen Arbeitsstil verändern wird, kann ich noch nicht sagen. Ich übe. Meine Frau bleibt charmant skeptisch. Aber sie liebt mich und verliert nicht den Humor. Wenn es ganz schlimm wird, zieht sie den Stecker raus und scheucht mich zum Sport oder zur Hausarbeit.
Ja, ich esse gern. Aber ich kann auch vielen Versuchungen widerstehen: zum Beispiel Rohkost, Magerquark und Tee, Zwieback und Reiskeksen. Da bin ich total diszipliniert! Nur, bei Gebratenem und Süßem, auch mal einem gut temperierten Rotwein oder dem »Hopfenblütentee« aus einer fränkischen Privatbrauerei, da verzehrt sich meine Widerstandskraft. Für ein großzügig geschnittenes Stück »Ahle Worscht« aus meiner nordhessischen Heimat lasse ich jedes Wirsing-Soufflé an Biokaröttchen und sogar eine gedünstete, mit Soja gefüllte Erbse stehen.
Wenn sich dann das Hüftgold da etabliert, wo wir gern den Gürtel enger schnallen würden, sprechen wir verlegen vom »erweiterten Speck-drum«. Kürzlich habe ich mich dabei ertappt, dass ich mir an einer Autobahnraststätte tatsächlich eine Tüte feuriger Chips gekauft habe. Zum ersten Mal in meinem Leben. Bin ich verrückt? Disziplin – wo bist du? Schieben wir es auf die Nebenwirkungen. Herr P. verdirbt meine Ernährungsgewohnheiten. Aber ich kann es ändern: Crosstrainer, Mountainbike, Trampolin, Walkingstöcke, alles ist da. Ich muss nur losgehen. Und zu meinem Lieblingsthermalbad sind es gerade einmal 30 Minuten. Es ist alles nur eine Frage der Disziplin.
Ich las von Rupert Lay, dem Philosophen, katholischen Theologen, Unternehmensberater und Psychotherapeuten, dass er bei seinen Seminaren für ausgebrannte Manager drei Bedingungen zur Teilnahme stellt:
Die Teilnehmer müssen ihr heiliges Blechle, ihr Auto, zwei Kilometer vor einer abgelegenen Berghütte parken. Die Herren müssen also mit ihren feinen Schuhen durch den Kuhfladenparcour zum Tagungsort laufen. Viele Männer fühlen sich bedeutungslos, wenn sie ohne Statussymbol vorfahren. Sie kommen als ein Nichts an. Sie werden auf die wahren Qualitäten ihres Lebens reduziert.
Die Teilnehmer müssen Handys und Laptops zu Hause lassen, denn die Hütte steht außerhalb stabiler Funkfrequenzen. Eine Qual, eine Tortur für uns Onlineknechte. Eine heilsame Kur, ein Entzug der ganz schmerzlichen Sorte.
Die Teilnehmer dürfen an den Seminartagen über alles reden, nur nicht über Kennzahlen ihres Unternehmens, nicht über akademische Abschlüsse und ihre Karriere. Was soll dann ein Mann noch reden? Unter diesen Vorgaben hat er fast nichts mehr zu sagen. Er wird stumm. Und erst dann spricht er vielleicht über den eigentlichen Mangel seines Lebens.
Die Akzeptanz der Teilnahmebedingungen bedeutet schon die Hälfte des Erfolgs dieses Seminars.
Es muss nicht immer gleich ein Seminar der Spitzenklasse sein. Vielleicht reicht es schon, einem guten Freund das Mandat zu erteilen, mein Leben kritisch zu begleiten, genau hinzuschauen und mich früh zu warnen. Viele Führungskräfte sitzen in Aufsichtsräten, um Aufsicht zu führen, aber wem haben wir die Aufsicht über
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