Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)
meine leichtgläubige Frömmigkeit durch Parkinson geschüttelt werden, damit ich vielleicht künftig näher bei den verzweifelten Zweiflern bin.
Ich habe aus der kritischen Distanz meiner Verzweiflung einen ganz neuen Zugang zur Hiobsgeschichte gefunden. Mein Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Bibel ist gestärkt worden. Und Parkinson sorgt dafür, dass ich mich nicht mehr in alle Themen einmischen muss. Dazu fehlt mir inzwischen die Kraft. Wie gut!
Wenn Gott mir Kraft nimmt, führt er mich damit auch von bestimmten Spiel- und Kampffeldern weg. Ich muss nicht mehr überall mitmischen.
Die Erfahrung der abnehmenden Kraft sorgt für neue Prioritäten. Ich möchte meine physischen und psychischen Reserven für Versöhnung und Verständigung einsetzen.
13 Reinhold Schneider, Sonett, 1936
14 Paul Schütz, »Warum ich noch Christ bin«, Pattloch, Augsburg, 1996, S. 15–17
15 Zitiert nach Harald von Mendelsohn: »Kierkegaard – Ein Genie in einer Kleinstadt«, Stuttgart, 1995, S. 292
20.
Schatz in zerbrechlichen Gefäßen
Bei Hiob habe ich das Klagen gelernt. Und dass ich mich nicht als Bestrafter fühlen muss.
Bei Paulus, dem berühmten Völkermissionar und prägenden Theologen und Gründer der Urgemeinden, habe ich gelernt, einen Sinn in meiner Erkrankung zu entdecken. Ich schreibe mir dieses Trostbuch im Sommer 2012 von der Seele, in dem Jahr, das unter der Losung steht: »Jesus Christus spricht: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig« (2. Korinther 12,9).
In Schwachheit stark? In Ohnmacht mächtig? Wer soll das verstehen? Diese Briefnotiz des Apostel Paulus an die Gemeinde in Korinth war mir immer ein Rätsel. Ich hab darüber oft gepredigt, aber eigentlich betraf es mich ja nicht.
Der zweite Brief an die Gemeinde in Korinth ist der persönlichste aus der Korrespondenz des Apostel Paulus. Er sagt selbst, dass er ihn unter vielen Tränen geschrieben hat. Korinth war eine Gemeinde, die Paulus besonders am Herzen lag. Es war aber auch eine Gemeinde, die ihn extrem forderte. Korinth war als griechische Hafenstadt das St. Pauli des Mittelmeerraumes. Moralisch ging es da drunter und drüber, und in der jungen Gemeinde wollte man auch nicht alles zu eng sehen. So führten die Gemeindeglieder Prozesse miteinander, gemeinsame Gemeindemahlzeiten arteten zu Fress- und Sauforgien aus, einige gingen zu Prostituierten, einer lebte in einer Inzestbeziehung. Paulus beklagte, dass solche Verhältnisse noch nicht einmal bei den Heiden zu finden seien.
Gleichzeitig waren sie offen für jede Art von spiritueller Erfahrung, sie liebten das Besondere. Im ersten Brief spricht Paulus die peinlichen Details an. Im zweiten Brief geht er gar nicht mehr auf Einzelheiten ein.
Er musste seine apostolische Autorität nachweisen, denn den Korinthern war der Apostel einfach nicht eindrucksvoll genug. Nicht genug übernatürliche Erfahrungen, viel zu wenig Erfolgsmeldungen. »Wer weiß, ob der wirklich den Heiligen Geist hat?« Und ein bisschen mickrig sah Paulus vielleicht auch aus. Kein Vergleich mit den imposanten griechischen Rhetorik-Artisten, die stundenlang klug und schön reden konnten und die Massen in Verzückung brachten. Paulus bekannte sich zu seinem einfachen Redestil: Nicht mit überzeugender Rede und feingeistigem Esprit, sondern Christus den Gekreuzigten, den predigte er. Vielen Christen in Korinth war das zu wenig!
Nachdem die Korinther sich ständig ihrer besonderen religiösen Erfahrungen gerühmt hatten, stieg Paulus, vielleicht mit einem Augenzwinkern, auf die gleiche Tour ein. »Wenn sich hier schon gerühmt wird, dann kann ich auch etwas beisteuern.« Wenn die Korinther ihm schon eine Debatte aufzwingen wollten, dann sollten sie was zu knabbern haben. So schrieb er: »Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir ein Pfahl ins Fleisch gegeben« (2. Korinther 12,7).
Das muss die Korinther nun endgültig verwirrt haben. Gott hat die Macht gesund zu machen. Sie haben selbst die Gabe der Krankenheilung in ihrer Gemeinde, und Paulus, das große Glaubensvorbild, lebt heimlich mit einem pathologischen Befund? Das gibt’s doch nicht! Christsein und Kranksein, wie passt das zusammen? Ratlosigkeit, während der Brief in der Gemeinde von Korinth vorgelesen wird. Der Apostel fühlt sich von einem Engel Satans gepeinigt. Gibt’s denn so was? Dreimal hat er um Heilung gebeten und nichts ist passiert? Da fällt doch der Glaube an den Allmächtigen wie ein Kartenhaus zusammen.
Ja, so etwas
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