Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)
alles merkt ein Starker gar nicht, es sei denn, es findet sich ein demütiger Mahner, der ihm das in geistlicher Autorität schonend nahebringt.
Mein Leben im Kraftfeld der Stärke Gottes. Irgendwann musste ich endlich lernen, was Paulus meinte, wenn er sich seiner Schwachheit rühmt. Auf das »Wozu?« dieser Erfahrung habe ich bis heute keine Antwort, auf das »Warum?« sowieso nicht. Die Warum-Frage führt selten zur Erkenntnis.
Ich bin heute sehr dankbar, dass ich nach der neurologischen Diagnose »Parkinson« nicht ein einziges Mal nach dem »Warum?« fragen musste. Aber die Krankheit schreitet voran. Sie macht den Starken schwach. Parkinson bricht den Stolz, den starken Auftritt, die formvollendete Performance auf Bühne und Kanzel. Und da Stolz keine geistliche Tugend ist, ist das zwar ein demütigender, aber auch ganz heilsamer Nebeneffekt. Ich muss nun täglich üben, in meiner zunehmenden Schwachheit Stärke zu leben, denn seine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
So lebe ich mit den Worten des Apostel Paulus, die er im ersten Brief an die Korinther schreibt: »Wir haben aber diesen Schatz in irdenen (zerbrechlichen) Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns« (2. Korinther 4,7). Vielleicht verströmt sich die Kraft Gottes durch die rissige Fassade meiner Behinderung viel besser als durch die aalglatte Oberfläche eines makellosen Auftrittes. Wenn das »bei rumkommt«, wenn ich angeschlagenen Menschen dienen kann, dann will ich gerne meine Last tragen.
Jetzt ahne ich, was Paulus mit »stark in Schwachheit« gemeint hat. Eine mühsame und demütigende Lektion, aber auch eine wunderbare Erfahrung der Treue und Nähe Gottes, die ich nicht mehr missen möchte. Die Erfahrung von Schwäche macht mich barmherziger, vielleicht auch geduldiger. Tempo ist nicht mehr so wichtig, Gesundheit nicht alles, ein zitterfreier Auftritt keine Bedingung für einen überzeugenden Dienst. Die Sache Gottes ist nicht durch unsere Ohnmacht gefährdet, vielleicht eher durch unsere Macht.
21.
Einsichten und Aussichten
Was kann ich meinen Parki-Genossen und allen, die mit Leid konfrontiert und im Zweifel stecken geblieben sind, sagen? Was habe ich in diesen vier Jahren gelernt?
Wenn mich dienstliche Anfragen für die nächsten Jahre und darüber hinaus erreichen, fällt meine Antwort immer dreifach aus:
Gern!
So Gott will!
Falls Herr Parkinson nichts dagegen hat.
Das »So Gott will« gilt ohnehin für jeden von uns, ob gesund oder noch nicht ausreichend untersucht. Ich verwende diese Formel gern, weil damit die Prioritäten meiner Lebensplanung klar beschrieben sind. Mein dienstlicher und privater Kalender wird von mir verwaltet, mehr nicht. Gestaltet wird er von Gott, der über die Gestalt und Gestaltung meines Lebens wacht. Wie befreiend ist diese Einsicht! Ich sterbe einzig und allein am Willen Gottes. Sachlich betrachtet, als Momentaufnahme, sprechen 49 Prozent Zweifel dagegen, 51 Prozent Glaube sprechen dafür. Mit Abstand betrachtet und in der Gesamtschau meines Lebens kann ich mit Paulus sagen: »Ich bin gewiss, dass mich nichts von der Liebe Gottes trennen kann« (Römer 8,38) . Das gibt meinem brüchigen Leben eine tiefe Qualität: ein Leben jenseits vom Beben.
Parkinson kann mich nicht meiner Berufung entheben. Körperliche Hinfälligkeit begrenzt körperliche Freiheit, aber in der inneren Haltung bin ich ein freier Mensch! Darum kann ich dem Karmeliterbruder Lorenz (1610–1691) nur zustimmen, wenn er bekennt:
»Man muss Gott in heiliger Freiheit dienen!« 16
Bruder Lorenz stammte aus Lothringen. Er kämpfte im Dreißigjährigen Krieg und trat danach – körperlich geschwächt – in das Pariser Karmeliterkloster ein. Den größten Teil seines Dienstes verbrachte er in der Küche und der Schusterwerkstatt des Klosters, nicht auf der Kanzel. Ein unscheinbares Leben. Aber Lorenz konnte schreiben, und so hielt er seine Erfahrungen mit Gott fest. Ich trage seine Zitate bei mir und vertiefe mich immer wieder darin. »Ich habe bei allen meinen Arbeiten nur das Ziel verfolgt, alles aus Liebe zu Gott zu tun!«
Diese Freiheit, alles aus Liebe zu Gott zu tun, macht unser Leben unendlich reich. Ob gesund oder krank, ob bedeutend oder unbedeutend, gefragt oder in Vergessenheit geraten.
Ich fasse einige Einsichten zusammen, die auch gleichzeitig meine Zuversicht begründen und derzeit, im Sommer 2012, meine Aussichten beschreiben:
Ich bekenne mich zu einem bewusst dankbaren Lebensstil. Ich
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