Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)
gibt es! Hier und heute, nicht nur bei Paulus. Ich habe in meinem engsten Familienumfeld erlebt, dass Menschen im tiefen Vertrauen auf Gott Heilung erlebt haben. Und wir haben erlebt, dass andere endlos gelitten haben und trotzdem im Einklang mit Gott gestorben sind.
Paulus hätte gar nicht mit seiner Krankengeschichte ausgepackt, wenn die Korinther ihn nicht so provoziert hätten. Nun ist es raus. Seitdem wird geforscht, was er denn gehabt haben könnte. Epilepsie, endogene Depressionen, Magenleiden, Augenleiden? Viel Spekulation, aber kein klarer Befund. Paulus selbst trägt nichts zur Klarheit bei. Er hat kein großes Aufheben darum gemacht. Er wusste, dass diese Krankheit von Gott verordnet ist. Sie war das Gegengewicht zu seiner außerordentlichen apostolischen Begabung. Ein Gang durch die Kirchengeschichte zeigt uns diese bedrückend einfache Gleichung: Wem viel anvertraut ist, von dem wird viel gefordert. Die bedeutenden Männer und Frauen der Christentumsgeschichte hatten meistens harte Bodenhaftung. Sie waren geerdet im Leid, in Krankheit, in wirtschaftlicher und politischer Not. Einschränkend muss man sagen, dass der Umkehrschluss nicht passt, nämlich: Wer nicht leidet, bewegt auch nichts. Viele Männer und Frauen haben in der Geschichte der Kirche und der Mission viel bewegt – ohne wirtschaftliche, seelische und körperliche Nöte.
»Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig« (2. Korinther 12,9). Das heißt doch, dass meine Schwachheit kein Hindernis für ein erfülltes Leben sein muss und dass Gott sich meiner Schwachheit bedient, um etwas Starkes daraus zu machen. Vielleicht sind mir die größten Segnungen Gottes nicht zugänglich geworden, weil ich zu sehr auf meine eigene Kraft gesetzt habe.
Paulus erwähnt so ganz nebenbei, was die Beeinträchtigungen seiner Berufung zum Missionar und Gemeindegründer waren. Und die Risiken waren zugleich sein Kraftwerk. Aus jeder Niederlage ist Paulus gestärkt hervorgegangen.
Von radikalen Juden wurde er knüppeldick verdroschen. Er wurde mit Steinen beworfen und trieb schiffbrüchig auf einer Bootsplanke durchs Mittelmeer. Auf seinen Reisen zu Wasser und zu Land ging er durch extreme Gefahren, durchwachte Nächte in Kälte, Hunger und Durst. Anders wäre das Evangelium nicht vom Orient zum Okzident gekommen. Der Weg des Evangeliums von Jerusalem in die neue Welt, die wir heute Europa nennen, war mühsam und voller Widerstände. Paulus nutzte zwar die moderne Infrastruktur, das römische Wegenetz, so, als würde er sich heute der schnellen Kommunikationswege des Internets bedienen. Aber es war dennoch ein mühsamer Weg, kein Vergleich mit dem siegreichen und glanzvollen Ritt eines Heroldes, der die Siegesbotschaft nach Rom bringen durfte.
Paulus schreibt im ersten Brief an die perfektionslüsternen Korinther, dass Gott seine Schätze in rissigen und demolierten Gefäßen transportiert. Dieses Bild hat wahrscheinlich keiner in der Hochglanzgemeinde verstanden. Die Kraft Gottes verströmt sich durch die Risse meiner angekratzten Eitelkeit. Durch die aalglatte Fassade einer aufgesetzten Frömmigkeit verströmt sich überhaupt nichts, das stößt nur ab. Wir brauchen uns nicht zu schämen, dass der Lack ab ist.
Was gibt es Besseres, als sich in Gottes Gegenwart zu fügen? Paulus muss nicht mehr um einen schmerzfreien und durchtrainierten Körper bitten. Er rühmt sich seiner Behinderung, statt über sein Leiden zu lamentieren.
Er begreift seinen Zustand als Segnung Gottes. Segnen hat eine Wortverwandtschaft zum lateinischen signare: zeichnen! Paulus ist gezeichnet, er ist ausgezeichnet, von Gott signiert. Darum reden wir noch heute von ihm. Das heißt nicht, dass wir Gott nicht mehr um Heilung bitten sollen. Dazu können wir immer die Freiheit haben. Aber wir sollten uns nicht die besonderen Segnungen Gottes entgehen lassen, wenn er uns in unserer Schwachheit stark machen will.
Ich habe gelernt, dass meine starken Auftritte an Pult und Kanzel mein Leben eben nicht wertvoller gemacht haben. Manchmal war es gerade die Stärke, die mich auf Distanz zu den Hörern gebracht hat. Mein Leben im grünen Bereich hat andere in den roten Bereich katapultiert, ohne dass mir das bewusst war. Vielleicht habe ich sogar arrogant gewirkt, weil alles so stark war. Stärke kann isolieren und einsam machen. Schwache fühlen sich in Gegenwart starker Menschen nicht wirklich verstanden, sie empfinden sich als Zwerge unter Riesen. Das
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