Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
und befriedigender als früher, aber ich kann eine ausufernde, unersättliche Libido vor den Wechseljahren nicht bestätigen. Ich verspüre – entgegen allen wissenschaftlichen Verlautbarungen – viel seltener den körperlichen Drang nach unbedingter sofortiger Befriedigung.
Trotzdem würde ich niemals öffentlich zugeben, dass ich nach sportlichen Aktivitäten lieber in eine Schlaf-Apnoe verfalle, als wild durch die Betten zu hüpfen, und dass ich mich eher für einen ausgiebigen Fernsehabend entscheide, statt meinen Carsten hopsgeil zu überfallen.
Würde ich diesen Umstand mit meinen Freundinnen diskutieren, würden die mich schief angucken und behaupten, sie trieben es noch täglich, da bin ich mir sicher, was mir wiederum sofort das Gefühl der Unzulänglichkeit gäbe. In meinem gesamten Umfeld wäre Mama wahrscheinlich die Einzige, die für mich Verständnis hätte – theoretisch. Denn praktisch verbietet sich jedes Gespräch mit ihr über diese Problematik.
Viel wichtiger scheint mir im Moment die Frage, welche Folgen mein nachlassender sexueller Appetit auf das Objekt meiner seltener werdenden Begierde hat. Würde Carsten, wenn er sich nicht mehr ausreichend begehrt fühlt, meinen Namen auf seiner Heiratskandidatinnen-Liste streichen?
Ich überlege, dass die Natur die Sexualität an den menschlichen Bedürfnissen vorbeikreiert hat: Erst darf man nicht, dann weiß man zu wenig, dann hat man keine Zeit, und am Ende ist man zu alt, um sich sexuell vergnügen zu wollen.
In meiner frühen Jugend war mir, mangels einschlägiger Erfahrungen, manchmal eine Migräne lieber als Sex. Ich erinnere mich, was ich oft zu meinem damaligen Freund gesagt habe, wenn er mit mir schlafen wollte: »Wenn ich heute mit dir ins Bett soll, versprichst du mir aber, dass wir hinterher was Schönes machen!« Trotzdem habe ich ständig und instinktiv körperliche Nähe gesucht, wusste aber damals nicht genau, warum.
Ich erinnere mich, wie ich, Anfang der Achtziger, achtzehnjährig und wie von Sinnen, per Bahn zum Ort der Stationierung meines damaligen, seinen Grundwehrdienst bei der NVA absolvierenden Freundes in den tiefsten Spreewald gefahren war. Wie ich wegen mieser Verbindungen eine ungemütliche Übernachtung auf dem Bahnsteig in Lübben auf mich genommen hatte, nur um einen sonnigen Tag lang meinen Soldaten in furchtbar riechender Uniform in den Arm zu nehmen und anschließend meinen nackten Hintern im Kornfeld von Mücken attackieren zu lassen.
Wenige Jahre später erfuhr ich erst, dass die Natur auch für Frauen die Möglichkeit eines Orgasmus bereithält, hatte aber als junge, berufstätige Mutter keinen Nerv und keine Zeit für libidinöse Handlungen. Ich ließ die unfachmännischen Bemühungen meines Partners geschehen und dachte dabei über die Versorgungslage im Konsum nebenan nach; überlegte, ob im Milasan-Bananen-Zwieback-Brei wirklich Bananen sein könnten und ob ich die schmutzigen Baumwoll-Windeln auskochen oder doch in den Vollautomaten mit 90 Grad Höchsttemperatur werfen sollte.
Noch später, als sich mein Kind zum Studium verabschiedete, ich endlich ausreichende Erfahrungen mit meinen körperlichen Reaktionen und sexuellen Möglichkeiten hatte, war erstmalig kein Mann an meiner Seite, und HIV-Viren zwangen zur Vorsicht bei der Internet-Partnerauswahl. Jetzt, wo sich nicht nur eine berufliche, sondern auch eine seelische und partnerschaftliche Zufriedenheit in meinem Leben eingestellt hat, ist mein Geliebter krankheitsbedingt eine Mumie, und mein Körper versagt mir immer öfter lustvolle Gefühle.
Ich möchte erst gar nicht darüber nachdenken, was die Wechseljahre mit meiner Libido machen werden! Natürlich beteuert meine Frauenärztin Frau Doktor Ziesche, dass man auch während und nach den Wechseljahren, unter der Voraussetzung regelmäßigen Trainings, Sex haben kann. Nicht, dass ich ihre Aussage bezweifeln würde. Aber was heißt hier KÖNNEN, ich muss es ja auch noch WOLLEN. Da hat die Evolution bei mir eindeutig versagt!
Chica hat sich an die Mumie gekuschelt, und erleichtert höre ich Carstens Schnorcheln. Er schläft. Das ist ein gutes Zeichen. Ich dusche schnell, aber ich fühle mich immer noch schlapp. Ein müder Blick in den Spiegel verrät mir, dass ich auch so aussehe. Mein blasses, leicht pickliges Gesicht und die tiefen, schwarzen Augenschatten könnten die Vermutung hervorrufen, ich hätte in den vergangenen drei Wochen unter Tage gearbeitet. So sieht man also aus, wenn der Partner,
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