Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
Voraussetzungen als bei Carsten dafür zu sein, dass meine Freundin wie ein ganz normales Publikum auf meine »One-Night-Stand-up-Comedy« reagieren könnte. Mir fehlte nach den Monaten der ausschließlichen Beschäftigung mit diesem Thema jegliche Distanz. Meine Unsicherheit ließ sich gar nicht mit Worten beschreiben: Dieses erste Soloprogramm konnte mein beruflicher Neuanfang oder mein persönliches Waterloo werden.
Als Gisi bei mir klingelte, hatte ich schon alle Requisiten in die Küche geräumt und mein Kostüm angezogen. Ich trug für die Show schwarze Netzstrumpfhosen, in der Fernando-Tanzschule erworbene Tanz-Pumps und ein sexy kurzes, rotes Kleid. Es hatte, wie alle meine Bühnenklamotten, ein tiefes Dekolletee und war mit Strass-Steinen besetzt. Alle Problemzonen waren dank der erfahrenen Kostümbildnerin gut verdeckt. Nur mein Gesicht nicht. Die Strass-Steine glitzerten gegen meine verschlafene Knautschzone und die in alle Richtungen abstehenden Haare an.
»Na, Tati, hast wohl ’ ne wilde Nacht gehabt!«, begrüßte mich meine alte Freundin.
»Leider nicht. Konnte schlecht schlafen, hatte zu viele nervende Gedanken im Kopf, warum ich kaum noch wilde Nächte habe!«
»So ist das nun mal. Früher war das Eins-zu-drei-Verhältnis andersrum!«
»Hä? Was meinst du?«
»Na, früher konnten wir drei Tage Party machen und brauchten nur einen Tag zur Erholung, heute ist es umgekehrt!«
»Ich brauche gar keine Party mehr, um das Gefühl zu haben, mich ausruhen zu müssen!«
Gisi grinste, und ich erinnerte mich an die ausufernden Trinkgelage bei ihr und Rudi. Damals studierten die beiden noch, und wir waren Nachbarn. Meine wenige Monate alte Tochter wurde in der Babytasche auf dem Küchentisch abgestellt, und wir machten die Nacht zum Tag. Trotzdem war ich früh fit zum Windeln, Fläschchen Geben und Spielen.
»Nun hab dich nicht so!«, unterbrach Gisi meine wehmütigen Gedanken. Gisi hatte gut reden. Sie ist etwas älter als ich, aber aktiv wie ein Leistungsportler. Sie verbringt nicht nur jedes Wochenende als leidenschaftliche Großmutter mit ihrem Enkel, sondern geht auch jeden Tag arbeiten, macht regelmäßig Yoga und renoviert nebenbei ihr Haus. Sie ist ein Macher. Gegen sie fühlte ich mich an diesem Tag wie ein schwerfälliger Mistkäfer.
»Wenn ich daran denke, wie ich Mitte der Neunziger nicht nur täglich acht Stunden im Potsdamer Kabarett gearbeitet, mein Kind allein großgezogen, an den Wochenenden mit Tanzauftritten dazu verdient und dreimal in der Woche das aktuelle Magazin im Stadtfernsehen moderiert habe, frage ich mich, wie ich das geschafft habe«, jammerte ich deshalb.
»Heute ist es doch nicht anders«, erwiderte Gisi. Ich vermutete, dass sie mich aufheitern wollte, um die Probe nicht zu gefährden.
»Du arbeitest immer noch ständig. Egal wann ich anrufe; du hast keine Zeit. Weil du gerade schreibst, probst, akquirierst, organisierst, auftrittst, Büroarbeiten erledigst, Gesangsunterricht nimmst, Fernsehsendungen moderierst oder Sport machst. Weißt du eigentlich, wie lange wir nicht mehr zusammen in den Urlaub gefahren sind, nur weil du immer arbeiten musstest?«
Ich war verblüfft. Vielleicht nahm ich mich ja selber falsch wahr? Vielleicht war ich ja doch keine von fossilen Brennstoffen getriebene Dampfmaschine, sondern ein antriebsstarkes Raketentriebwerk! Diese Vorstellung stimmte mich sonnig. Dermaßen motiviert konzentrierte ich mich auf mein Programm. Mein Publikum saß direkt vor mir auf dem Sofa: Chica schlafend und Gisi sehr aufmerksam mit staunenden, weit aufgerissenen Augen.
Ich spulte meinen Text, ohne zu stottern, wie ein kontinuierlich schnurrender Elektromotor ab, sang mit Nachdruck und hüpfte in meinem Küchen-Probenraum enthusiastisch herum, bis die teure Versandhaus-Hängelampe über dem Tisch zu schaukeln begann. Nach dem letzten Lied drückte ich die Stopp-Taste des CD-Players und setzte mich Gisi gegenüber an den Tisch. Gespannt wartete ich, was sie mir gleich sagen würde.
»Entschuldige bitte, dass ich nicht gelacht habe.« Gisi wirkte irgendwie fassungslos auf mich. Mein Herz klopfte bis zum Hals, als ich fragte: »Und?« Meine Stimme klang heiser. Sie schwieg. Ängstlich und gespannt wünschte ich mir, dass sie weitersprechen würde. Ich war überzeugt, dass sie nur vorgab, nachzudenken, um möglichst schonende Worte für mich zu finden.
Dann hüstelte sie, spannte mich mit einer erneuten Kunstpause auf die Folter und sagte anschließend sehr
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