Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
überschritten habt, leidet ihr unter permanentem PMS! Ihr wisst schon: prämenopausales Syndrom! Da möchte ich ja glatt Mitte dreißig bleiben, wenn sich danach alles nur noch um langweilige Beziehungen und die Abneigung gegen Männer dreht. Ihr wirkt auf mich, als müsstet ihr mal wieder so richtig durchgeb…«
»Doro, untersteh dich weiterzusprechen!« Ich hielt ihr, obwohl ich derselben Meinung war, den Mund zu.
»Aber du hast recht. Wehe, irgendeine von euch sagt heute noch ein Wort übers Alter oder die Wechseljahre!«, drohte ich. Wir stießen mit Caipi an und widmeten uns den Rest des Abends weniger anstrengenden Themen.
***
Die Ablenkung gestern hat mir richtig gut getan. Trotz des Caipirinha-Konsums bin ich heute frisch und entspannt aus dem Bett gekommen, habe mich sogar dabei ertappt, dass ich beim Chica-Füttern fröhlich vor mich hin summte. Als ich Carsten vorhin einen Kaffee ans Bett brachte, habe ich trotz seines übermüdeten und gequälten Anblicks nicht eine Spur des Paternoster-Syndroms verspürt. Ich habe das gute Gefühl, dass es für Carsten und mich nach dem heutigen MRT-Termin bergauf gehen wird.
Nachdem mein krankes Erdmännchen und ich heute Vormittag die Bilder vom MRT in der Hand hielten, fuhren wir sofort zu Doktor Schulz. Jetzt sitze ich allein im Wartezimmer. Carsten wurde vor fünf Minuten in den Behandlungsraum gerufen.
Alles wird gut, denke ich im mittagspausenleeren Wartezimmer. Gleich kommt Carsten mit einer unkomplizierten Diagnose aus dem Sprechzimmer des Neurologen und beendet die Horror-Pflegezeit der vergangenen vierzehn Tage, die nicht nur jeglichen sexuellen Kontakt, sondern auch sonstige körperliche Nähe verhinderte und mich zum Kochen zwang, eine Tätigkeit, die ich hasse und nur rudimentär beherrsche. Dass die von mir kreierten Gerichte bei Carsten nicht zu Mangelerscheinungen und Magersucht geführt haben, ist verwunderlich.
Ich starre auf das Bild mit den bunten Dreiecken, Quadern und Punkten, das in fast jedem mir bekannten Hotelzimmer die Wände verziert und in dem ich mein emotionslos wirkendes Gesicht erkennen kann. Ich bin aber nicht emotionslos, in meinem Inneren brodelt es. Ich bin gerade erbost darüber, dass ich in dem bekloppten Rahmen aussehe wie früher meine Mutter, wenn sie mich mit meinen Missetaten konfrontieren wollte. Ich drehe mich weg und suche nach Ablenkung. Warum stehen in diesem Wartezimmer zwanzig Stühle? Wenn die alle mit Patienten besetzt wären, würde der Letzte doch mehrere Tage warten, bis er drankäme! Vielleicht ist, weil niemand direkt neben einem Fremden sitzen möchte, immer ein Stuhl zum Freilassen dazwischen, gewissermaßen als Leerzeichen.
Eine Bahnhofsuhr neben dem Hotelbild zeigt zwölf Uhr. Das leise Ticken ist das Einzige, was ich hören kann, weil kein Ton aus dem Behandlungszimmer zu mir dringt, obwohl ich schon mehrmals mein Ohr an die Tür gedrückt habe. Das Schlüsselloch ist mit Papier zugestopft. Ich laufe wie ein Tiger hin und her, bleibe dann am Fenster stehen. Die dichte, dunkelgraue Wolkendecke lässt nur wenige Sonnenstrahlen durch, die die wenigen Blätter an den Bäumen vor der Praxis nicht ganz so vertrocknet erscheinen lassen. Es ist Mitte Oktober, und schon jetzt scheint es, als neige sich der Herbst seinem Ende entgegen. Eben war doch noch Frühling, denke ich.
Früher war ich jünger
Im letzten Frühling strotzte ich wie die Natur vor Kraft und war voll aufgeregter Vorfreude auf meine neue Comedy-Show. Es gab Tage, da sprudelten die Ideen nur so aus mir heraus, ich war kreativ und zuversichtlich, an anderen Tagen wollte ich alles hinwerfen und auf keinen Fall jemals allein auf der Bühne agieren. Selbst ausgesucht hatte ich mir diesen Weg ohnehin nicht. Meine Bühnenpartnerin hatte sich überraschend von mir getrennt, und mir blieb nichts anderes übrig, als die Flucht nach vorn anzutreten. Mit über vierzig findet man so schnell keine Anstellung, und meine drei Fernsehsendungen im Jahr hätten mir nicht einmal das Dach über dem Kopf finanziert. Also nahm ich all meinen Mut der Verzweiflung zusammen und stürzte mich in das Projekt Solo-Comedy. Die letzten Tage vor meiner Premiere waren für mich wie eine Fahrt im Segelboot bei hohem Wellengang. Zwei Tage vor dem Premierentermin ging es mit gesetztem Fock steil bergauf.
Ich hatte Gisi gebeten, in meiner Küche einen Blick auf meine Show zu werfen. Gisi ist weder Kulturfachfrau noch in mich verliebt, und das schienen mir bessere
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