Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
Ich musste zur Generalprobe aufs Theaterschiff. Meine Schwester hatte sich bereiterklärt, mir bei der Lichtregie zu helfen.
Alexandra wartete sicher schon. Ich freute mich, sie zu sehen. Seit sie nicht mehr in Potsdam lebte, waren unsere schwesterlichen Zusammenkünfte viel seltener geworden. Früher trafen wir uns fast täglich, suchten gemeinsam im Internet nach Männern, besuchten Veranstaltungen und diskutierten stundenlang bei Kaffee und Zigaretten in einer unserer gemütlichen Küchen. Ihr Umzug nach Berlin ein Jahr zuvor hatte mich traurig gemacht. Ihre Begründung, aus unserem schönen Potsdam wegzuziehen und unseren großen Freundeskreis zu verlassen, erschien mir fadenscheinig und zwanghaft. Alexandra hatte gesagt, sie wolle endlich wieder »unter Leute« und außerdem dahin ziehen, wo sie Arbeit fände. Meiner Ansicht nach zog es sie einzig und allein und unbedingt in die Nähe ihres verrückten Lovers. Wahrscheinlich hatte sie geglaubt, all ihre Beziehungsprobleme mit dem Umzug lösen zu können. Alexandra fand zwar tatsächlich in ihrem Kiez eine Arbeit in einem Pflegeheim, wurde aber genauso schnell mit der Unzuverlässigkeit und Untreue ihres Geliebten konfrontiert.
Ich packte nach Flos Spontan-Casting schnell meine Sachen für die Probe zusammen und fuhr zur Alten Fahrt. Dort lag das Theaterschiff ganz still und einsam in der nachmittäglichen Frühlingssonne auf der Havel. Der alte, rot-weiß-schwarz gestrichene, ehemalige Lastenkahn war vor fünfzehn Jahren liebevoll zu einem Theater umgebaut worden. Ich stieg die steile Treppe zur Kneipe hinunter, durchquerte sie und öffnete schwungvoll die Tür zum Bühnenraum. Alexandra hatte es sich bereits rauchend auf einer Bank gemütlich gemacht.
Mein Veranstaltungstechniker Tino lief hektisch durch den mit Scheinwerfern beleuchteten Theatersaal im Schiffsrumpf, richtete Lampen und fummelte an seinem Pult.
»Hallo, Tino!«
»Hallo, Tati! Ich brauch noch Zeit!«
Der wegen seiner Größe immer leicht gebeugt gehende, eher wortkarge Tino kletterte auf eine Leiter, schaute noch einmal prüfend den A4-Zettel in seiner Hand. Ich nahm an, dass darauf der von mir entworfene Technik-Ablauf stand, den ich ihm gestern noch per E-Mail zugesandt hatte.
Alexandra begrüßte mich mit einem Wortschwall, dem ich entnehmen konnte, dass ihre Stalkerei keine rechtlichen Folgen gehabt hatte. Dann verkrümelte ich mich in die Garderobe, sortierte meine Kostüme und zog mich um. Es schien mir wichtig, einmal im Kostüm auf der Bühne zu üben, um bei der Premiere nicht von kratzenden Armbändern oder zu engen Schuhen abgelenkt zu werden.
Während Tino verschiedene Lichteinstellungen programmierte, testeten Alexandra und ich, vor welchem Vorhang das Rot meines Kleides am besten zur Geltung kam, und entschieden uns für den silbernen.
»Guck mal, Tatjana, hast du dir das Licht für den ›Tiescher‹ so vorgestellt?«, fragte Tino. Der »Tiescher« ist mein abso-lutes Lieblingslied, welches ich unbedingt auch in meinem Soloprogramm singen wollte, obwohl es bereits Bestandteil anderer Programme gewesen war. Die Bühne war dafür in rotes Licht gehüllt.
»Genauso, Tino, das scheint mir erotisch genug zu sein! Und wie ist das Spiellicht?«
Tino schob an den Reglern, und schon stand ich in sonnengelbem Licht.
»Du weißt ja, lieber Tino, du musst das Licht so einstellen, dass ich mindestens zehn Jahre jünger wirke«, zitierte ich eine Textpassage aus meiner Show. Tino antwortete ungewohnt schnell: »Tut mir leid, Tati, geht nicht. Rauputz wirft nun mal Schatten!«
Alexandra lachte ein tiefes, böses »Hohohoho!«, und ich lächelte schmallippig mit. Tino hatte es gerade nötig, auf mein Alter anzuspielen! Ihm hatte Doktor Neubauer erst kürzlich eine Verkalkung des Schultergelenks diagnostiziert, die normalerweise nur bei Frauen ab fünfzig auftritt.
Nach zehn Minuten starteten wir den Durchlauf. Meine Schwester saß mit Lesebrille und kleiner Lampe im sonst dunklen Zuschauerraum. Von Tino sah ich nur den Kopf, weil der Techniker versteckt hinter einem Vorhang am Ende des Saales stand, oberhalb dessen nur, wie im Kasperletheater, sein Gesicht und die verkalkte Schulter zu sehen waren.
Ich spielte eine Szene nach der anderen. Nach jeder einzelnen diskutierten wir Licht- und Toneinstellungen. Ich sah Alexandra zwar an, dass sie keine Einwände gegen meine Darbietung hatte, aber um sicherzugehen, fragte ich in jeder Pause, die Tino zum Nachregeln benötigte, wie es ihr
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