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Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)

Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)

Titel: Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Meissner
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O Gott! Wie soll ich mich denn jung und frisch fühlen, wenn für Granufink, große Windeln und Klosterfrau Melissengeist (»Zittern dir die Hände meist, nimm Klosterfrau Melissengeist!«) geworben wird.
    Ich habe mich gerade eingefürchtet in die Welt der Treppenlifte und der Blasenschwäche, da folgt der nächste Schlag der Werbeindustrie: Man erinnert mich an meine Vergesslichkeit, die ich gerade vergessen hatte, und teilt mir mit, dass ich Konzentrationsverstärker einnehmen soll. Ja, bin ich denn hier nur von Alterswahnsinnigen umgeben? Wo leben wir denn? In einem Land voller Rentner? Und dafür zahle ich GEZ-Gebühren? Vielleicht sollte ich zur ARD umschalten? Zapp! Ja, endlich keine Werbung, sondern eine Reportage über Hunde. »Guck mal, Chica, das ist interessant und beruhigend«, sage ich zu meiner Katze. Chica thront mit Rotznase auf ihrem Lieblingsplatz, meinem alten, großrädrigen Teewagen rechts neben mir, und schnieft. Ich putze ihr die Nase.
    »Mein Baby, bist du so krank? Soll ich dich kraulen. Mhm, mein Mausebärchen?«
    »Aua, aua!« Chica quietscht maulig und guckt desinteressiert.
    Die Fernsehkamera verfolgt eine stolze Pudelbesitzerin auf einem Feldweg.
    »Mach fein Käckchen, Meiner!«, säuselt sie sächselnd ihrem Riesenpudel zu. »Mutti macht dann weg, ’ ne?« Ich bin erstaunt. Wie komisch manche Menschen im Alter werden, denke ich. So ein Gedöns um Hunde. Die behandeln ihre Haustiere wie Menschen.
    Ich schenke mir noch einen Schluck Wein ein. Als Trost und gegen alle Sorgen, Ängste und Enttäuschungen. Ich bin mittlerweile so frustriert, dass mein Gedächtnis mir selektiv die unangenehmen Ereignisse der letzten Monate präsentiert. Ja, ich bin enttäuscht: vom Leben, von Carstens Ignoranz und seinem Rücken, von Alexandras Kiefer und ihrer Gebärmutter und jetzt auch noch vom Fernsehen.
    Heute Abend gab es nicht mal eine dieser Realitysoaps, die mir das Elend fremder Menschen vor Augen führen, damit ich mich besser fühlen kann. Wie intelligent wäre ich mir vorgekommen beim Anblick eines versoffenen Familienvaters, der seine Lieben in die Obdachlosigkeit trinkt und keinen Satz geradeaus sprechen kann; wie jung würde ich mich fühlen angesichts seiner ungepflegten, sinnlos kreischenden Gattin mit fettigen Haaren und verwatzter Dauerwelle namens »Chantal Korsorske (43)«. Carsten hätte wie immer beim Anblick solcher Protagonisten gesagt: »Zum Glück sind die diesmal nicht aus dem Osten!«
    Ich mache den Fernseher aus.
    »Prost Chicilein!« Chicilein scheint an meiner Gemütslage nicht interessiert. Sie schläft. Ich leere mein Glas und schlurfe, von allen frohen Gedanken und liebenden Menschen und Tieren verlassen, ins Bett.

Altes Eisen oder Edelstahl
    Seit Carsten krank ist, ist es jeden Morgen dasselbe: Kaum schlage ich die Augen auf, hat mich meine melancholische Stimmung voll im Griff. Eine Woche nach Carstens Bandscheiben-Diagnose bei Doktor Schulz mache ich mir immer noch Sorgen um ihn. Als Kind hatte ich wahrscheinlich neun Mal Angina im Jahr und habe trotzdem keinen Gedanken daran verschwendet, dass ich NICHT wieder gesund werden könnte; sogar bei meiner Unterleibs-OP im vergangenen Jahr war ich mir völlig sicher, nur wenige Tage später wieder auftreten zu können. Der Anblick meines blassen Erdmännchens jedoch raubt mir jeden Glauben an eine schnelle Genesung. Stattdessen assoziiere ich mit Bandscheibenvorfall irreparablen körperlichen Niedergang, der Carsten direkt ins Pflegeheim führen wird.
    Ich bin bereits seit einer halben Stunde wach, wälze mich jedoch jetzt erst lustlos aus dem Bett und trotte ins Bad. Während ich mir die Zähne putze, schaue ich in den Spiegel, und meine Stimmung verschlechtert sich um weitere hundert Prozent. Ich ziehe mir den Hausanzug mit dem ausgeleierten Hinterteil an, um mich noch älter und hässlicher fühlen zu können, gebe der maunzenden Chica frisches Futter und rufe Carsten in seiner Wohnung an. Während das Freizeichen im Hörer erklingt, höre ich Schritte in der Küche über mir. Trapp, trapp, trapp, traaaap, polter!
    »Ja?«
    »Guten Morgen! Wie geht es dir? Wie hast du geschlafen?«, frage ich desinteressiert.
    »Ganz gut.« Carstens Antwort ähnelt stimmlich einem Stöhnen.
    »Soll ich dir Frühstück machen?«
    »Hab mir schon Kaffee gekocht. Das reicht mir. Kümmere dich mal wieder um deine Arbeit, ja?«
    »Mach ich. Ruf an, wenn du was brauchst!«
    Eigentlich bin ich hocherfreut, dass ich dem Pflegealltag kurzzeitig

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