Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
Theorie der in der frühen Kindheit außer Kontrolle geratenen triebhaften Wünsche und Fantasien, die bei Flo zu meinem Leidwesen insgesamt nur wenig ausgeprägt waren. »Na klar, Tati! Schwere Kindheit, weil er im Kindergarten im Kollektiv kacken musste, oder warum?«, verscheißerte mich mein Männer-Versteher Ronny. »Das Problem ist doch, dass ihr Frauen das Problem habt, immer alles bis ins Detail ausdiskutieren zu müssen! Da vergeht uns Männern einfach jede erotische Regung!«
Weil meinem Kumpel Ronny damals – wie auch meinem Bandscheiben-Patienten heute – jedes Verständnis für küchenpsychologische Zusammenhänge fehlte, schleppte ich Flo, wie Anka später ihren Mann, zur Partnerschaftsberatung, mit dem Ergebnis, dass ich begriff, dass jeder für seinen eigenen Schalter verantwortlich ist. So simpel und klar wie diese Erkenntnis war, trennten sich Flo und ich infolge der Therapie. Anka hingegen glaubte trotz Therapie noch lange an ein Happy End mit ihrem Gatten und wurde darüber zur verbitterten Männerhasserin.
Dank meiner eigenen Erfahrungen mit Therapeuten bin ich heute der Überzeugung, dass meiner Schwester geholfen werden wird, weil sie endlich verstanden hat, dass man seelische Probleme genauso ernst nehmen sollte wie körperliche. Aber wer hilft meiner Seele? Alexandra ist krank, Carsten, der ja leider doch nur ein richtiger Mann ist, auch, und Mama ist froh, wenn ich die Verantwortung für alle beide übernehme.
***
Ob Carsten immer noch am PC sitzt und altersgerechte Büromöbel bestellt? Ich schaue über meinen Schreibtisch hinweg aus dem Fenster. Es ist erst sechzehn Uhr, und trotzdem dämmert es schon. Der Regen hat nachgelassen. Ein Schwarm Spatzen fliegt aufgeregt im Kollektiv von den Ästen der mitten auf dem Hof stehenden kahlen Birke und setzt den Bewegungsmelder in Gang. Das Licht über der Toreinfahrt geht an und spiegelt sich in den schlammigen Pfützen. Leichter Wind kräuselt die Wasseroberfläche. Die Hoflampen-Spiegelung erinnert mich an ein digitales Fernsehbild mit schlechtem Empfang, wenn das Bild in kleinen Vierecken verschwimmt. Genauso holprig und ungeordnet sind meine Gedanken: Psychosomatische Krankheiten – kapitulierende Schwester – körperlicher Zusammenbruch – vorfallende Bandscheiben – plötzliche Ehekrisen – männerhassende Anka – nachlassende Sexualität. Was hat das alles miteinander zu tun, und warum passiert es gerade jetzt? Weil wir alt werden?
Auf dem Monitor meines Computers, auf den mein Blick fällt, schiebt sich gerade das von Carsten gestaltetete, faltenretuschierte Plakat meines Comedy-Programms »Meissners Sexgeschichten« in den Vordergrund. Mein mit Photoshop gebügeltes Gesicht wirkt, je größer es wird, umso bedrohlicher auf mich. Bevor es wie eine Seifenblase zerplatzt, um dem nächsten Bild Platz zu machen, prangt das Wort »SEX« in großen Lettern auf dem Bildschirm. Blubb und weg!
Ich gebe den Versuch, mich meiner eigentlichen Arbeit zu widmen, auf, fahre den Computer herunter, räume noch ein paar Papiere hin und her, lösche das Licht im Arbeitszimmer und gehe zu Chica in die Küche.
»Na, mein Chicilein, soll Mama dir Futter geben?« Ich schlurfe zum Küchenschrank, nehme Futter raus und fülle es in Chicas Fressnapf unter dem Küchenfenster. Ich hole Brot aus dem Brotbehälter und Butter und Wurst aus dem Kühlschrank. Mein Pflichtbewusstsein zwingt mich, meinem renitenten Kranken Abendbrot zuzubereiten, obwohl mich Ankas Erfahrungen mit ihrem Mann, an die ich wieder denken muss, an der Sinnhaftigkeit dieses Vorsatzes zweifeln lassen. Wie sehr hatte ich damals nach unserem Telefongespräch gehofft, dass ihr Mann mit ihr zusammenbleiben würde, obwohl er auf Montage arbeitete und von einer ausgefüllten Partnerschaft schon damals keine Rede mehr sein konnte. Wenige Wochen nach der Aufdeckung der Schandtat stellte ihr untreuer Gatte die Erfüllung seiner ehelichen Pflichten gänzlich ein. Ja, er sprach bei seinen Wochenendbesuchen kaum noch mit ihr.
Als sie ihm kurz vor Weihnachten das Ultimatum stellte, entweder sein Verhalten zu ändern oder zu Weihnachten zu bleiben, wo der Pfeffer wächst, ließ er sich nicht mehr blicken. Anka saß mit ihrer Tochter allein unterm Weihnachtsbaum. Nach fast zwanzig Jahren Ehe ging ihr Mann ohne jede Erklärung. Anka war verzweifelt, wollte wissen, mit wem er sie betrogen hatte, bezahlte einen unfähigen Privatdetektiv und war hinterher genauso schlau wie vorher. Sie weinte oft, und
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