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Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)

Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)

Titel: Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Meissner
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ängstlich, um gegen Alexandras düstere Zukunftsvisionen anzukommen. Am liebsten würde ich mich an einen sonnigen und weit entfernten Ort beamen, weg von Krankheit, Angst und Stress.
    »Sag doch bitte mal was Positives, ja?«, wimmere ich in den Hörer.
    »Was soll denn an einem Bandscheibenvorfall positiv sein? Wenn du wüsstest, was bei mir auf Station so abgeht, da würde dir auch nur Negatives einfallen!«
    Ich kann nicht mehr und lege auf. Prompt klingelt es wieder.
    »Hallo Tati? Ich bin’s noch mal. Ich muss dir etwas sagen!« Alexandra klingt jetzt genauso niedergeschlagen, wie ich mich fühle.
    »Ja?«
    »Mein Psychologe hat mir gesagt, dass unsere Sitzungen nicht ausreichen, um mich zu kurieren. Ich leide an einer schweren Depression. Burn-out. Alle Symptome stimmen: meine negativen Gedanken, meine Sucht nach Anerkennung, die mich zum Stalker gemacht hat, meine Ängste, meine Verwirrung und meine Vergesslichkeit. Alles genauso, wie es in jedem Medizinbuch geschrieben steht.«
    Mein Paternoster-Syndrom meldet sich. Mir wird schwindlig. Noch eine Schwerkranke in der Familie. Auch wenn ich im Moment nicht weiß, wie ich das alles meistern soll, diktiert mir mein Unterbewusstsein die nächste Frage.
    »Kann ich dir irgendwie helfen?«
    »Im Moment nicht. Ich fahre nächste Woche los.«
    »So schnell bekommst du einen Platz?«
    »Ja, es muss wohl dringend sein. Ich weiß es schon ein paar Tage. Habe mich nur nicht getraut, darüber zu sprechen. Es war mir unangenehm, zuzugeben, dass ich mein Leben nicht mehr im Griff habe.«
    Nach dem Gespräch bin ich mit meinen Nerven am Ende. Ich nehme Chica, die wie so oft direkt vor mir neben der PC-Tastatur sitzt und um Aufmerksamkeit buhlt, auf den Arm und heule in ihr weiches Fell. Ich denke an den schmerzgepeinigten Carsten über mir, an meine traurige Schwester und an das schlechte Essen, das ich heute Abend kochen werde.
    Zehn lange Minuten kann ich mich einfach nicht beruhigen, obwohl ich genau weiß, dass mir Selbstmitleid nicht weiterhelfen wird. In meiner Verzweiflung rufe ich Mama an.
    »Tati, schön, dass du dich meldest. Wie geht es Carsten?«
    »Nicht so gut!«, schniefe ich in den Hörer.
    »Weinst du, Kind?«
    »Ist schon gut, Mama, ich bin nur ein wenig verschnupft«, lüge ich.
    Als Mama merkt, dass ich über Carsten und seine Bandscheibe nicht reden will, wechselt sie das Thema und beklagt sich, dass sie von meinem Vater schon wieder zu einer Party gezwungen wurde.
    »Weißt du, Tati, wenn ich einmal da bin, unterhalte ich mich mit den Leuten und frage sie aus. Ich interessiere mich für Menschen. Aber warum organisiert dein Papa ständig Partys, wenn er sich für die Gäste nicht interessiert?«
    Diese Worte sind Wasser auf meine Mühlen. Bestätigen sie mir doch, wie kompliziert und desinteressiert Männer sind.
    »Ja, Mama, so sind wir Frauen eben. Papa ist aber ein Mann. Obwohl ich das weiß, habe ich mich genau deswegen auch schon über ihn geärgert. Weißt du, wenn ich ihm etwas von mir erzähle, will ich gar nicht unbedingt, dass er dazu ein Statement abgibt, aber dass er zuhört und sich für mich interessiert!«, gebe ich meiner Mutter recht und rechne fest mit ihrem Verständnis. Stattdessen geht Mama sofort in die Verteidigungsposition und widerspricht ihrer gerade eben selbst geäußerten Aussage vehement.
    »Nein, Tati, Papa interessiert sich doch. Besonders für seine Kinder!« So ist das in langjährigen Ehen: über den Partner schimpfen, um ihn im nächsten Moment wieder zu verteidigen. Nachdem wir uns verabschiedet haben, denke ich darüber nach, wie anders als ich Mama das Verhalten ihres Mannes interpretiert. Ich frage mich, ob die Ehe meiner Eltern deswegen schon über vierzig Jahre hält, weil meine Mutter, wenn es hart auf hart kommt, sogar Papas männliches Desinteresse positiv umdeutet? War es diese, ihre Art zu denken, die es ihr ermöglichte, meinen Vater zu lieben trotz seiner Herzkrankheit und seines damit verbundenen uneinsichtigen, pingeligen und manchmal sogar unfairen Verhaltens? Kann ich das auch? Kann ich Carstens Ignoranz unter völlig neuen Aspekten sehen?
    Wenn ich ihn mit Mamas Augen betrachte, wäre seine Muffeligkeit nur eine männliche Spielart, von sich und seiner Krankheit abzulenken. Und sein Gesprächsverhalten, das ich bisher nach weiblichen Maßstäben negativ, nämlich als Problemverdrängung, wertete, ist in Wirklichkeit Ausdruck seiner Angst, dass mir irgendetwas passieren könnte, und das wiederum

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