Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)

Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)

Titel: Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Meissner
Vom Netzwerk:
wir machten uns alle Sorgen um sie.
    Mir fallen einige Beispiele langjähriger Ehen ein, die sich einfach in Luft aufgelöst haben. Weil die Kinder aus dem Haus gehen? Weil Karriere auf dem Höhepunkt und nicht mehr steigerbar ist? Weil sich die Wiederholungen im Leben häufen oder die Libido nachlässt?
    Irgendwie komisch. Egal ob Mann oder Frau; viele suchen mit vierzig nach neuen Herausforderungen und träumen vom Auswandern nach Portugal wie Rudi und Gisi oder versuchen junge Frauen zu beeindrucken wie Flo. Andere wiederum bekommen Depressionen, werden krank oder lassen sich scheiden.
    Mit mir scheint das Schicksal in der Mitte des Lebens etwas ganz Besonderes vorzuhaben: die Hochzeit mit einem maulfaulen und permanent meckernden Bandscheibenvorfall!
    Nachdem ich widerwillig und wortkarg Carsten zum Abendbrot Rührei kredenzt, sein Bett aufgeschüttelt und den Fernseher für ihn in die richtige Position geschoben habe, verlasse ich ihn umgehend wieder, um ermattet und einsam auf dem Küchensofa meine eigenen Wunden zu lecken. Ich würde mich gern entspannen, kann aber nicht. Ohne Ablenkung liegen meine Nerven blank, mein Puls zuckt im Rhythmus von Techno-Musik. Bummbummbummbumm. Ich grüble, ob ich Carsten verzeihen, mein Pflege-Gen aktivieren, mich für einen Kochkurs anmelden und anfangen sollte, für einen Treppenlift zu sparen. Nö! So viel Großherzigkeit will ich mir heute nicht mehr zumuten. Warum auch?
    Ich schalte den Küchenfernseher ein und streichle zur eigenen Beruhigung das weiche, dicke Fell der neben mir hockenden Chica. Ich drücke den Programmknopf der Fernbedienung – überall Werbung. Pfffff. O ja, ich wollte mir doch ein Glas Wein genehmigen. Das habe ich in meiner Aufregung schon wieder vergessen. Vorher gebe ich Chica frisches Futter in den Napf, nehme ein Glas aus dem Schrank, trage es zum Kühlschrank, hole die bereits geöffnete Flasche Wein heraus und schenke mir ein Glas ein.
    Kaum sitze ich wieder in meiner Fernsehposition, sehe ich, dass das Weinglas noch auf dem Kühlschrank steht. Ich stehe wieder auf, stolpere über die Katze und hole das Glas. Wäre Alexandra hier, würde sie sofort Demenz diagnostizieren. Wieso bin ich so vergesslich? Zum Beispiel fällt mir schon seit einer ganzen Weile auf, dass ich Menschen vergesse oder sie nicht wiedererkenne. Nach fast jeder Veranstaltung – ob in Wittenberg, Eisenhüttenstadt, Leipzig oder Treuenbrietzen – steht irgendeine fremde Frau oder ein mir unbekannter Mann vor mir, sie gemahnen an Urlaube vor zwanzig Jahren in Bulgarien, waren Leipziger Kommilitonen aus Parallelseminargruppen, haben sich mit mir ein Zimmer im Internat geteilt oder erinnern an die gemeinsame Kindheit in Bötzow. Noch erstaunter war ich, als mich meine Mutter bei einem Telefongespräch nach dem Namen meiner Französischlehrerin fragte, denn ich wusste nicht mal mehr, dass ich in der Schule überhaupt Französisch gehabt hatte.
    Dass mein Kurzzeitgedächtnis auch nicht funktioniert, vertusche ich mittels Häufchenbildung im Flur. Für jeden Tag der Woche gibt es ein Häufchen mit Sachen oder Unterlagen, die ich jemandem zurückgeben oder aufs Amt oder sonst wohin mitnehmen muss. Aber auch Carsten scheint von galoppierendem geistigen Abbau gepeinigt zu sein. Er schreibt sich alle zu erledigenden Aufgaben auf kleine Zettel, die er zur Erinnerung so auf den Fußboden in seiner Wohnung legt, dass er immer an ihnen vorbeigehen muss. Dass er ebenfalls an Gedächtnisschwund leidet, macht die Sache für mich nicht leichter, aber erträglicher. Hoffentlich kommt es nie so weit, dass Carsten eines Tages »heute Sex« auf einen seiner Zettel schreibt, und hoffentlich lege ich mir nicht irgendwann mein gold-rotes Mieder zur Erinnerung in den Flur.
    ***
    Ich sitze auf dem Sofa und halte das Weinglas fest in der Hand, um das Trinken nicht zu vergessen. Die Werbung geht mir auf die Nerven. Ich schalte zum werbefreien öffentlich-rechtlichen Fernsehen um. Auch Werbung. Unglaublich! Eine grauhaarige Schönheit preist eine Creme gegen Altersflecken an. Im nächsten Spot freut sich Opa über seinen neuen Treppenlift, im darauffolgenden ist Oma von der neuen Haftcreme für die Dritten total überzeugt. Ich bin fassungslos! Da wird doch mit meinen ureigenen Ängsten gespielt! Kein Wunder, wenn einen die Angst vor Alter und Krankheit übermannt! Bei der Werbung gegen Haarausfall ab vierzig, der anhand eines Diagrammes wissenschaftlich untermauert wird, greife ich mir panisch ins Haar.

Weitere Kostenlose Bücher