Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
Shorts und Baseballkappe tapert an unserem Wohnwagen vorbei und starrt meiner halbnackten Frau auf die Brüste: »Moin«, sagt er freundlich.
Hätte ich ihn vielleicht hereinbitten sollen? Auf so einem Campingplatz gelten anscheinend ähnliche Privatsphäre-Regeln wie in einem FKK-Club.
»Oah, mein Schädel«, ächzt Lena, während sie die Ablage absucht und in ihrem Medizin-Kulturbeutel rumkramt, »hast du eine Ahnung, wo die Schmerztabletten sind, die mir Dr. Cevani verschrieben hat?«
Ich öffne die Schiebetür zur sogenannten Nasszelle unseres Wagens: Ein Plaste-und-Elaste-Universum im Kleinen, es gibt sogar einen Duschkopf an einem kurzen Schlauch, der direkt neben der Toilette befestigt ist. Ich habe gerade die Zahnbürste im Mund, als Lena mich tadelnd ansieht. »Was machst du denn da?«, fragt sie entsetzt.
»Äh – Schähne pupfen«, antworte ich wahrheitsgemäß, die Zahnbürste noch immer im Mund. »Wonach sieht’s denn sonst aus? Pediküre?«
»Kannst du dafür nicht ins Bad gehen?«
Ich spucke die Zahnpasta aus: »Bin ich doch!«
»Nein, ich mein ins Badehaus. Das Badezimmer hier drin ist nur für Notfälle. Das machen wir immer so.«
Etwas verdattert ziehe ich mit Zahnpasta und Zahnbürste von dannen, ein Handtuch über der Schulter. Seltsam, gestern Abend durfte ich das noch. Aber okay, das war ja auch gestern Abend. Lena hatte mir schon auf der Anreise die grundsätzlichen Geschäftsbedingungen klargemacht: Große Sachen niemals in der kleinen Nasszelle! Das fand ich durchaus plausibel. Aber wenn du nicht mal Zähne putzen darfst, wofür gibt es so eine Nasszelle dann überhaupt? Nur für den Fall, dass man während eines Angriffs mit chemischen Kampfmitteln nicht den Wagen verlassen kann?
Badehaus. Das klang vielversprechend. Doch obwohl ich trotzdem nicht gerade einen Hamam erwartete, erscheinen mir zwei Reihen mit jeweils einem Dutzend Waschbecken, die von azurblauen Milchglasscheiben abgetrennt sind, in ihrer kasernenhaften Schlichtheit dann doch etwas zu sehr bedürfnisorientiert. Immerhin sind sie penibel sauber. Aber andernfalls würden die Deutschen wohl auch auf der Stelle abreisen.
Der Eingang daneben – sogar mit Torbogen – gehört zum Toilettenhaus, das hübsch im Toskana-Stil gestrichen ist. Hinter der ersten Tür befindet sich ein Keramik-Plumpsklo, wie man es aus Südeuropa und arabischen Ländern kennt: zwei Fußtritte und in der Mitte ein Loch, über das man sich hocken soll. Die Nachbarkabine schaut leider genauso aus. Ich öffne gespannt eine Tür nach der anderen, als wäre das hier ein Adventskalender – bis ich am Ende des Raumes einen deutschen Touristen mit einer Art Turnbeutel aus einem Klo rauskommen sehe. Hinter mir höre ich Schritte und sehe einen Mann, der sogar sein eigenes Klopapier mitgebracht hat.
Showdown. Mit zwei schnellen Schritten drängle ich mich an ihm vorbei in die Kabine. Meiner ersten Erleichterung über die Ideal-Standard-Schüssel folgt ein massiver Schock – es gibt einen verdammt guten Grund, das eigene Klopapier mitzubringen. Für diese Einsicht ist es jetzt aber eindeutig zu spät.
Zehn, fünfzehn Minuten hocke ich planlos da. Starre die Kunststofftür an, zur Neonröhre hinauf, zum leeren Klopapierrollenhalter, der in die weiß gekachelte Wand gebohrt ist. Zum Febreze-Lufterfrischer, der einen verstörenden Aprilfrische-Geruch verströmt. Zu einer Spinne, die oben in der Ecke ihr Netz gespannt hat.
Ich könnte jetzt mit der Hand … Oder das T-Shirt benutzen? Vor der Tür hört man jedenfalls Schritte des allmählich ziemlich ungeduldigen Campingfreundes, den ich eben ausgebremst habe. Er scheint auf und ab zu gehen oder im Kreis wie ein Zoo-Tiger in seinem Käfig.
Ich bringe all meinen Mut auf: »Ähm, huhu? Sind Sie noch da?«
»Aber hallo!«
»Ähm, darf ich Sie um einen Gefallen bitten? Die haben hier wohl vergessen, Klopapier nachzulegen.«
Vor der Tür ein deutlich zu vernehmendes amüsiertes Prusten. Wenig später gibt eine Hand mit goldenem Ehering einen sorgfältig zusammengefalteten Papierfetzen unter der Tür durch. »Reicht das?«, fragt der Mann kurz darauf belustigt.
Wenig später öffne ich verschämt die Tür und sehe in ein grinsendes Gesicht. Mir ist die Situation so peinlich, dass ich vergesse, mich zu bedanken. Mein Nothelfer grinst immer noch, dann klopft er mir kumpelhaft auf die Schulter: »Das erste Mal hier?«
Etwas indigniert latsche ich zu unserem Wohnwagen zurück. Im Vorzelt riecht es angenehm
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