Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
nach frisch aufgebrühtem Kaffee. Ich würde mich zur Abwechslung gern mal nützlich machen. »Kann man hier eigentlich irgendwo Semmeln kaufen?«
Lena hält mir eine Bäckertüte vor die Nase. Als ich nicht von der Toilette zurückkam, ist sie schnell mit dem Auto zum kleinen Campingplatz-Supermarkt nahe der Rezeption hochgefahren. Sie muss sehr hungrig sein.
Lena stellt den Schinken auf den weißen Plastiktisch. Genau in dem Moment fährt über den Strand vor unserem Wohnwagen ein Traktor, der eine Art riesigen Rechen hinter sich herzieht. Der Trecker fährt jetzt unmittelbar an unserem Mäuerchen vorbei. Ein wie frisch getoastet wirkender älterer Bursche sitzt am Steuer, er trägt Schnurrbart und Goldkettchen, als hätte er seit den Achtzigerjahren bis vorgestern im Wachkoma gelegen.
»Ciao Lena« , brüllt er fröhlich gegen den Lärm des Dieselmotors an, »come stai?«
Lena winkt ihm nach. »Das ist Freddie«, sagt sie.
»Wer?«
»Der bagnino .«
»Bagnino?«
»Der Bademeister. Keine Ahnung, wie der wirklich heißt, wir nennen ihn immer Freddie, weil er aussieht wie Freddie Mercury.« Lena sagt, dass man ihm jetzt einen jüngeren, viel kräftigeren Kollegen zur Seite gestellt habe, weil niemand dem guten Freddie noch so richtig zutraut, absaufende Touristen aus dem Meer zu ziehen. Aber morgens die Kippen im Strand unterzupflügen, darin ist er nach einhelliger Meinung immer noch ein Großer.
Durch das Plastikfenster unseres Vorzeltes sehe ich, wie gerade hinter Lenas Rücken ein fetter schwarzer Kater auf unseren Tisch gehüpft ist und sich über unseren Schinken hermacht. Die Mortadella allerdings verschmäht er. Warum auch immer. Sollte mir das zu denken geben?
»Ey!«, rufe ich, als ich auf das freche Vieh zuschieße und dabei bedrohlich zu zischen versuche: »Ssssst. Hau ab!«
»Was machst du denn?«, schimpft Lena, während sich die Katze mit gekrümmtem Buckel in der Hecke verkrümelt. »Das ist doch Nero. Der gehört hier seit Jahren zum Inventar. Lass ihn in Ruhe! Der ist total süß und total zahm.«
»Ja, so zahm, dass er unseren Schinken mit seinem Whiskas verwechselt.«
Nero also. Hoffentlich hält der sich von all den Grills hier fern. Nicht, dass der am Ende noch das ganze Gelände hier abfackelt. Andererseits finde ich es ganz beruhigend, dass es in Sepiana nur eine übergewichtige streunende Katze gibt und keine total zahmen Braunbären wie etwa in Kanada, die sich auf Campingplätzen durch die Mülltonnen fressen.
Während wir frühstücken, raschelt Nero immer noch schuldbewusst in der Hecke. Ob er genauso hungrig ist wie Lena? Nachdem ich ihr gestern einen Cut verpasst und später auch noch den Safari-Typen vergrätzt habe, sollte ich mich vielleicht wenigstens mit der Katze anfreunden. Ich nehme eine Scheibe Schinken vom Teller, rolle sie appetitlich zusammen und halte sie vor die Hecke. Aber Nero haut endgültig und unversöhnlich ab. Katzen können ziemlich nachtragend sein.
Lena schäumt die Milch für unseren zweiten Cappuccino auf, als vorne am Strand ein paar Dutzend Leute zusammenlaufen und einen Halbkreis bilden. Vor ihnen bezieht eine durchtrainierte junge Frau Stellung, die nicht mehr trägt als einen Bikini und ein Headset. Schon bollert aus mächtigen Bassboxen ein brutaler Beat. Ich kann ihn an der vibrierenden Wand unseres Wohnwagens förmlich sehen.
Eine Stimme brüllt »Danza Kuduroooo!«, ein Akkordeon ertönt, dann der Gesang: »Los manos arriba / cintura sola / da media vuelta / danza kuduro« . Die Bikini-Frau reißt die Arme hoch und führt sie kreisend über dem Kopf, dazu wackelt sie zackiger mit dem Hintern als Jennifer Lopez. Im knietiefen Wasser fuchteln wild entschlossene Campingfreunde ebenfalls mit den Händen in der Luft. Das Hintern-Wackeln sieht allerdings eher nach Reha-Klinik aus.
»Was! Ist! Das! Denn!?«
»Ah, das Animationsteam.« Lena ist mit den Cappuccino-Tassen zurück an unserem Plastiktisch. »Das ist Acqua-Gym. Das machen die hier jeden Morgen. Könnte dir auch nicht schaden.« Sie lässt auch ihren Popo kreisen.
»Nee, oder?« Ich schnappe mir mein iPhone und springe über das Mäuerchen auf den Strand. »Das muss ich mir aus der Nähe angucken!«, rufe ich im Wegrennen. Vor allem muss ich das auf Video festhalten.
Die Vortänzerin marschiert jetzt energisch stampfend auf der Stelle wie ein weiblicher Drill-Sergeant im Bootcamp der israelischen Armee. Der Sänger macht »Oi oi oi, oi oi oi«, und jetzt kapiere ich auch endlich,
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