Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
ihren Stuhl zurück. Der Seppi-Song ist vorüber und mit ihm auch die Polonaise. Es entsteht ein unerwarteter Augenblick der Stille. Nichts außer Meeresrauschen. Gar nicht weit weg. Lena nimmt ihr Glas: »Prost!«
»Signore e signori«, ruft der DJ, » Stassera – heut Abend – iste große Swinger-Night in Grande Paradiso.«
»Donnerwetter«, sage ich und schaue Massimo verblüfft an. »Dieser Campingpatz steckt voller Überraschungen. Dass die alten Leute so was mitmachen … Hut ab!« Diese Outdoor-Freunde lassen offenbar nichts anbrennen.
Und noch bevor er etwas erwidern kann, spielen sie »Stompin’ at the Savoy« von Duke Ellington, und der Gute-Laune-Commander auf der Bühne schnipst vor seinem Laptop swingend mit den Fingern. Auf der Terrasse finden sich die ersten Pärchen zum Tanz ein. Okay. Missverständnis. Ich bin erleichtert.
Jetzt kommt auch noch Ercole mit einer neuen Karaffe vino casa . Unser Tisch sieht aus, als hätten sie die Bar kurzfristig hierher verlegt.
»Jungs, ihr habt ganz schön was vor«, sagt Lena und gießt allen die Gläser bis kurz unter den Rand voll.
»Auf Sepiana«, sage ich. »Und den Tintenfisch. Ich meine den vom Grill.«
»Marco, hab ich gehört, was du mit der Burgermeister gemacht hast«, sagt Ercole und stößt noch mal an. »E un coglione.«
Corleone habe ich schon mal gehört. Michael Corleone. Der Pate. Ich schaue Lena fragend an. Weiß sie mehr als ich? » Coglione , das heißt Arschloch«, sagt sie.
»Wieso?«
»Könnt ihr euch an diesen verrückten Minister vor ein paar Jahren erinnern? Stefano Stefani?«, fragt Massimo.
»Secretario« , grätscht Ercole dazwischen, »nicht Minister.«
»Ist auch egal, jedenfalls der Typ, der gesagt hat, alle Deutschen sind blonde Bestien?«
»O ja«, sage ich. Und zwar nur zu gut. Das muss im Sommer 2003 gewesen sein, es war jedenfalls weder Fußball-WM noch -EM. Stefani war ausgerechnet Staatssekretär im Tourismus-Ministerium und hatte in einem Beitrag für die Parteizeitung der Lega Nord deutsche Urlauber als einförmige, supra-nationalistische Blonde verunglimpft, »die lärmend über die Strände herfallen« und »keine Gelegenheit auslassen, unverschämt zu werden«. Die »Bild« ist wie immer in solchen Momenten des dröhnenden Chauvinismus groß drauf eingestiegen. Und Kanzler Schröder hat daraufhin seinen Italien-Urlaub storniert.
»Damals hat der Bürgermeister hier ein grandissimo casino angerichtet, Riesenchaos«, sagt Massimo. Er schenkt noch mal Weißwein nach.
Massimo und Ercole erzählen, wie der Bürgermeister die Deutschen zur größten Demo in der Nachkriegsgeschichte Sepianas angestiftet hat.
»Ich hab ihm noch gesagt, dass wir doch nix damit zu tun haben, was so ein Nazi von der Lega Nord schreibt«, erzählt Massimo, »gerade wir im Süden.«
Aber der Bürgermeister blieb unversöhnlich. Die Deutschen zogen mit gut zweihundert Leuten und etlichen Transparenten über den Corso und blockierten anschließend zwei Tage lang mit ihren Autos die Einfahrt zum Grande Paradiso. Bis endlich der apulische Tourismus-Minister seinen Hintern von Bari nach Sepiana bewegte, um sich persönlich und auch stellvertretend für seine ganze Nation bei den Tedeschi zu entschuldigen.
»Und ich musste eine Party machen mit wurstl con crauti und bayerisches Bier«, sagt Ercole. Er grinst Massimo säuerlich an. »Mille grazie!«
Lena flüstert mir zu, dass Ercole damals maximal genervt war: Erstens fand er, dass der Staatssekretär recht hatte, zweitens ist er glühender Berlusconi-Verehrer.
»Was, du wählst Berlusconi?«, frage ich entsetzt.
»Certo« , sagt Ercole. »Ist eine stinkereiche Kerl. Und wenn er in dem Alter noch jede Tag Sex mit die junge Dinger macht, kann er gar keine schlechte Mann sein.«
Als Lena und ich schwankend zum Wohnwagen zurückschlendern, kommen wir auch am Wohnwagen des Bürgermeisters vorbei. Seine beknackte Flagge flattert im Wind. Drinnen brennt immer noch Licht.
»Ich frage mich, warum selbst Massimo so einen Schiss vor diesem Idioten hat. Der ist doch der Chef hier.«
»Er ist nur der Verwalter«, sagt Lena, »und wenn dieser Helmut einen Furz quersitzen hat, geht er gleich zum direttore . So einfach ist das.«
Zähneputzen fällt aus. Im Bett höre ich die Wellen rauschen. Und irgendwie fühlt sich die Matratze an, als würden auch wir draußen im Meer treiben. Es ist ordentlich Seegang. Der viele Wein, das Wasser, der Kaffee – der Druck auf meine Blase schmerzt, als
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