Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
Name spinello – das italienische Wort für Joint. Nun hatte sie vor ein paar Jahren »im zweiten Wurf«, wie Fabio das etwas volkstümlich ausdrückte, auch noch Zwillinge bekommen, was in ihr eine postnatale Depression auslöste, die mutmaßlich bis in die Pubertät ihrer Kinder reichen wird.
Jedenfalls hatte sie Fabio eine ganze Weile ziemlich schamlose E-Mails geschrieben, bis sie eines Tages in Wien in seiner Segafredo-Bar auftauchte und nach Ladenschluss in seinem Schlafzimmer.
»Hast du für sie auch ›Piccolo Grande Amore‹ gesungen?«, frage ich. Und Sekundenbruchteile später erwischt mich Lenas Fußspitze mit voller Wucht am rechten Knöchel.
Vor der Bühne hat mit dem Seppi-Song auch der obligatorische Grande-Paradiso-Tanz begonnen, und wieder setzt sich die übliche Polonaise in Bewegung wie in einer Kölner Karnevalskneipe. Der lustige Tintenfisch bleibt an jedem Tisch stehen, von dem sich die Gäste nicht sofort freiwillig erheben. Als er auch bei uns stehen bleibt, bedeute ich ihm mit verächtlicher Geste, dass er verschwinden soll.
Seppi sagt etwas auf Italienisch, das ich nicht verstehe, und als letzter Versuch, mich zu motivieren, wackelt er jetzt witzig vor unserem Tisch herum. Dabei stößt er mit seinen Tentakeln mein fast randvoll gefülltes Rotweinglas um, dessen Inhalt sich sofort über meine sommerlich helle Hose ergießt.
Ich springe auf, schaue an mir herunter und sage: »Du Vollidiot! Hau ab!« Und obwohl ich nicht viele italienische Schimpförter kenne, rutscht mir spontan ein »filio di putana« raus – ein Begriff, der die Berufswahl seiner Mutter auf etwas uncharmante Art diffamiert.
Ohne eine Sekunde zu zögern verpasst mir Seppi mit einem seiner Tentakel einen mächtigen Schwinger, der mich rückwärts in den Stuhl zurückbefördert. Dann hüpft er fröhlich tanzend davon.
Lena bricht vor Lachen zusammen. »Oh, du lässt dich von einem Tintenfisch verprügeln?«, sagt Fabio.
»Aber sieh dir mal meine Hose an!«, versuche ich mich zu verteidigen.
»Du bist so ein peinlicher Spießer«, schimpft Lena. »Erst das Theater mit dem Bürgermeister, und jetzt bepöbelst du auch noch einen Tintenfisch als Hurensohn.«
»Wieso? Der hat doch angefangen.«
Fabio säuselt: »Komm, wir nehmen den Wein und gehen an den Strand.«
»Genau das machen wir jetzt«, sagt Lena.
Und noch ehe ich etwas vorbringen kann, steht sie auf und stampft davon. Fabio nimmt seine Gitarre und geht grinsend hinterher. Dabei wackelt er mit dem Hintern wie Seppi.
Nove
Herbert entschuldigt sich für einen kurzen Augenblick in Richtung Badehäuschen. Er sieht ziemlich verkrampft aus, als er das sagt. Wobei Worte gar nicht nötig wären bei einem Mann und seiner Toilettenrolle.
Er ist am Mittag angekommen, gerade noch rechtzeitig, um vor dem Campingplatz-Fahrverbot an der Rezeption hindurchzuschlüpfen. Und hindurchschlüpfen ist im Angesicht seines Wohnmobils auch wirklich nur zeitlich zu verstehen.
Nahezu sämtliche Bewohner der Zona Dragone sind aufgeregt zusammengeströmt, als dieses Gebirgsmassiv aus weißem Blech am Ristorante Pico Bello vorbeirollt, was natürlich auch an dem mächtigen Hupen liegt, das so tief und erschütternd klingt wie die Fanfare der »Queen Elisabeth II«, wenn sie in den Hamburger Hafen einläuft. Hinter der riesigen Panorama-Frontscheibe grinst und grüßt ein älterer Herr so erhaben, als säße er am Kapitänsdeck eines Luxusliners. Das also ist Herbert, auf den Willi jetzt schon seit Tagen wartet. Alle, alle sind sie gekommen. Sogar der Bürgermeister, wenngleich er sich bemüht, jeden Augenkontakt mit mir zu vermeiden.
Captain Herbert klettert aus der Fahrerkabine, die Ärmel eines nachtblauen North-Face-Hemdes aus atmungsaktivem Funktionsmaterial aufgerollt und über eine Schlaufe an einem Knopf befestigt. Nicht ein einziges Tröpfchen Schweiß auf der Stirn. Muss eine 1A-Klimaanlage haben, dieses Monstrum.
Und was ist das für ein Hallo! Ich hatte mich ja schon daran gewöhnt, dass die Ankunft neuer Gäste im Grande Paradiso so eine Art Höhepunkt des Tages darstellt. Man kommt zusammen, bietet Hilfe an. Vor allem beäugt man sie erst mal neugierig. Aber das hier war ein Spektakel, das alle bisherigen Grenzen sprengt. Schaulustige Fremde wohnen aus für Campingplatzverhältnisse ungewöhnlicher Distanz dem Eintreffen von Herbert und Ute bei. Sie wurden ja ähnlich sehnsüchtig erwartet wie einst der Heiland, aber ihr Auftritt ist noch pompöser. Fehlte nur, dass
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