Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
mindestens so viele verschiedene Sonnenbrillen wie Unterhosen besitzen.
Es ist erstaunlich voll heute Abend, trotzdem sitzen wir diesmal nicht direkt neben den Lautsprechern, was letztlich, wenn man Fabios Anwesenheit einmal ignoriert, einen netten Abend verspricht. Er setzt sich Lena gegenüber und stellt seine Gitarre auf den Stuhl zu seiner Linken wie eine treue Begleiterin.
Ercole kommt an unseren Tisch, in einem fliederfarbenen Poloshirt mit verkrümmtem Lacoste-Kroko-Schwanz und mit drei Speisekarten unterm Arm. Anschließend führen er, Fabio und Lena ein kurzes Gespräch, das ich nicht mal im Ansatz verstehe, weil es im Prinzip nur aus halben Wörtern besteht. Am Schluss wechselt Fabio ins Deutsche. Er sagt: »Und bring uns den besten Rotwein, den du hast, okay? Nichts von der Karte, sondern einen richtig guten.«
Donnerwetter. Dafür, dass hinterher sowieso wieder ich alles zahlen muss, ist der Herr ja recht anspruchsvoll.
Wir blättern uns durch die Karte. Mein Lieblingsgericht ist der »gegrilte Titenfisch«, und ich überlege noch, ob ich Ercole irgendwann mal fragen soll, welchen Buchstaben genau er da vergessen hat.
Immerhin hat er sich inzwischen perfekt auf deutsche Bedürfnisse eingestellt. Selbst zu »Scaloppine al limone« bietet er Gemüse und Kartoffeln an. Da schüttelt es sogar einen Hilfs-Italiener wie mich.
Letztlich lassen sich die meisten kulturellen Missverständnisse zwischen Deutschen und Italienern ja aufs Essen reduzieren. Wenn Italiener in ein Restaurant gehen, bestellen sie allein schon aus Prinzip die gesamte Karte rauf und runter, auf keinen Fall weniger als vier Gänge. Es gibt Antipasti, kalt oder warm, aber immer viel, gefolgt von Nudeln oder Risotto, dann die Hauptspeise, allenfalls mit Gemüse als Beilage. Die Kohlenhydrate gab es ja im vorherigen Gang. Später muss es mindestens eine süße Nachspeise sein und im Zweifel auch noch Käse. So ein Essen dauert unbedingt bis Mitternacht, und deshalb wird an Feiertagen auch spätestens um zwölf Uhr mittags damit angefangen.
Die Deutschen werden das nie kapieren, hat Ercole heute Morgen lamentiert. Und weil sie immer alles auf einem Teller haben wollen, hat er vor ein paar Jahren angefangen, Gemüse auch zu kochen, statt zu grillen und in Olivenöl einzulegen. Und er hat ihnen ihre Kartoffeln gegeben. Die Deutschen, hat er gesagt, bestellen immer nur ein Gericht und um zehn Uhr die Rechnung. Wenigstens hat Ercole ihnen abgewöhnt, schon um 18 Uhr auf der Matte zu stehen wie in der Truppenküche einer Bundeswehrkaserne. So blieb ihm das gute Gefühl, seine neapolitanische Gastronomen-Ehre nicht vollends zu verlieren.
»Du willst nicht wirklich ein Schnitzel bestellen, oder?«, fragt Lena. Ich glaube, so allmählich werde ich ihr peinlich. Zumal vor ihrem italienischen Freund.
»Wieso nicht? Ich komme aus Deutschland!«
»Die besten Schnitzel gibt’s beim Figlmüller in Wien«, sagt Fabio weltmännisch.
Ich sage lieber nichts. Der Figlmüller ist ein klassischer Touri-Laden im ersten Bezirk, wo es gleich zwei Filialen auf dreihundert Metern gibt, weil sonst nicht genug Platz wäre für die ganzen Japaner. Das Fleisch, habe ich mir mal sagen lassen, wird durch eine Art Mangelmaschine gedreht, deswegen sind die Schnitzel so dünn wie ein Pizzaboden. Und in etwa auch so groß. Wie eine Familien-Pizza wohlgemerkt.
Als Ercole den Wein an unseren Tisch bringt, wirft er Fabio einen Blick zu, den ich nicht richtig zu deuten weiß. Aber freundlich ist er definitiv nicht. Er tippt die Bestellungen in ein Ding, das er »Orderman« nennt; eine Art übergewichtiges Smartphone, das mit einem Stift bedient wird und die Wünsche der Gäste in Echtzeit in die Küche melden soll. Ich kann mir kaum vorstellen, dass so etwas auf einem Campingplatz in Apulien funktioniert.
»Willst du probieren?«, fragt Fabio und deutet auf die Flaschen.
»Du bist der Experte«, gebe ich zurück.
Er schwenkt das Glas, wie es Leute gern machen, die zum vierzigsten Geburtstag ein zweitägiges Weinseminar geschenkt bekommen haben. Er schlürft einen Schluck und lässt ihn im Mund hin und her schwappen. Nachdem er geräuschvoll geschluckt hat, steckt er seine nicht gerade unterdimensionierte Nase ins Glas, als wollte er den Wein schnupfen. Auf jeden Fall würde der auf diese Weise schneller wirken.
»Passt«, sagt Fabio.
An unserem Nachbartisch sitzt der Freund der Intimbekenntnisse, mit dem ich mich neulich an der Bar unterhalten habe. Er trägt ein
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