Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
Schlutzkrapfen, der Tiroler Version von Ravioli, über den Verlust seiner Dosenpaletten hinweg.
Dummerweise mussten sie am nächsten Morgen feststellen, dass sie in der Mitte des Marktplatzes geparkt hatten. Nun ist ja spätestens seit Andreas Hofer bekannt, dass mit Südtiroler Bauern nicht recht zu spaßen ist. Und statt Herbert und Ute höflich zu wecken, hatten die Marktleute den mächtigen Charisma heimtückisch mit ihren Gemüse- und Fleisch-Ständen umzingelt und dessen Abreise bis in den frühen Nachmittag blockiert. Für den Zeitplan war das auch nicht so hilfreich.
Der von Schlutzkrapfen-Diarrhö gepeinigte Herbert ist inzwischen von der Toilette zurück und genießt sein erstes Bierchen im Grande Paradiso, wobei alle ein bisschen grinsen müssen nach Utes Erzählung. Die allerdings noch nicht beendet ist.
Sie waren gerade bis Ancona gekommen, einer Hafenstadt auf halbem Weg zwischen Südtirol und Sepiana, von der aus auch die Fähren nach Griechenland ablegen, als sie im Vorbeifahren am Rande eines Gewerbegebietes einen großen Platz sahen, auf dem bereits andere Wohnwagen standen. »Ich dachte ja noch, schön ist das nicht, aber hier warten wahrscheinlich alle nur auf die Fähre«, erzählt Ute.
Sie ließen jedenfalls ihr Wohnmobil stehen und fuhren mit dem Smart zum Essen, und als sie dann am Abend gegen zehn zurückkamen, war auf ihrem Platz immer noch ein erstaunlich munteres Treiben. In manchen Wagen brannte auch Licht. Seltsamerweise rotes. Es muss so gegen Mitternacht gewesen sein, als es an der Tür klopfte. Ute schaute zum Fenster raus, und während sie einen spitzen Schrei ausstieß, sah sie draußen einen betrunkenen Seemann, der bereits sein Gemächt aus dem Hosenschlitz befreit hatte.
Herbert kann trotz seiner Magenkrämpfe schon wieder lachen: »Ich wollte 250 Euro haben, aber das war dem Typen zu viel.«
»Jetzt hör auf. Ich hab die ganze Nacht kein Auge zugemacht«, sagt Ute. Jede Stunde hatte sie einen Kontrollblick nach draußen riskiert. Und irgendwann ging schließlich die Sonne auf.
»Also, Leute«, sagt Herbert, »nach dem Mittagessen ist bei uns Hausführung. Bis dahin haben wir auch alles aufgebaut.«
»Wahrscheinlich ist sein Darm nur an zerlassene Butter gewöhnt und nicht an das italienische Olivenöl«, spottet Lena, als wir zum Wohnwagen zurückgehen.
»Umso erstaunlicher, dass ihm dann die Schlutzkrapfen so auf den Magen geschlagen sind«, sage ich, »werden die nicht in geschmolzener Butter serviert?«
Es ist das erste Mal, dass Lena heute überhaupt so eine Art Gespräch mit mir führt. Sie ist immer noch stinksauer wegen der Sache mit dem tanzenden Tintenfisch. Als sie gestern Abend vom Strand zurückkam, war ich längst weggedämmert, wobei mir die Eifersucht das Einschlafen nicht gerade erleichtert hat. Allmählich wird mir eines klar: Wenn das hier wirklich ein Charaktertest ist, dann bin ich gerade dabei, ganz böse durchzurasseln. Und um weitere Konflikte zu vermeiden, habe ich erst gar nicht gefragt, wie es noch am Strand war.
Das Grande Paradiso, so jedenfalls hatte ich Lenas ausschweifende Erzählungen während unserer Anreise gedeutet, funktioniert in ihrer Familie wie ein Assessment Center. Hier wirst du auf deine Beziehungstauglichkeit hin geprüft. Nur mit dem Unterschied, dass dieser Test in meinem Fall erst nach der Hochzeit durchgeführt wird.
Lenas Bruder Felix zum Beispiel hat schon alles versucht. Einmal war er mit einer Air-Berlin-Stewardess fast umsonst nach Bari geflogen und zahlte dann ein Vermögen für den Mietwagen. Wie in Italien eben so üblich. Ich vermute mal, dass die Versicherung wegen der Diebstähle so teuer ist.
Die Stewardess jedenfalls, deren Namen ich schnell wieder vergessen hatte, rückte mit zwei wuchtigen Ziehkoffern an und blieb auf dem Weg zum Wohnwagen erst mal im Sand stecken. Dass man sie beim Schminken im Badehaus ein bisschen scheel angestarrt hatte, nahm sie zunächst noch als Kompliment. Sie hielt die anderen Frauen schlicht für neidisch und stutenbissig. Dass sie allerdings für jeden Abend ein neues aufregendes Kleid eingepackt hatte, während sich Felix gerade mal alle drei Tage ein frisches T-Shirt überwarf, hat sie final fertiggemacht. Als Frauenversteher würde ich sagen: Sie fühlte sich in ihrer Weiblichkeit nicht angemessen wahrgenommen. Nach einer Woche nahm sie schließlich die nächste erreichbare Maschine nach Köln. Und Felix musste für seinen Rückflug den vollen Preis bezahlen.
Die andere
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