Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
Stelle?« Ich bin enttäuscht. Hat nicht jede gewöhnliche Familienkutsche heutzutage 170 PS? Ich habe locker mit 350 oder so gerechnet.
»Du willst damit doch keine Rennen fahren«, sagt Willi, »außerdem darfst du eh nicht schneller als 100.«
Herbert lässt jetzt die Rollladen für die Windschutzscheibe herunter. Elektrisch, eh klar. »Zwei-Zonen-Fußbodenheizung«, sagt er, was bedeutet, dass Wohn- und Badezimmer separat geheizt werden können. Und jetzt glaube ich auch zu wissen, woher Willis Obsession kommt.
Das Doppelbett ist im Heck des Wagens untergebracht, direkt über der Garage, und ich denke, das ist für uns Deutsche natürlich das Allergrößte: direkt über dem geliebten Auto zu pennen. Herbert öffnet eine Klappe unter dem Bett und grinst: »Und hier kannst du gleich deine schmutzige Wäsche in den Keller werfen. Wie zu Hause.«
»Und du kannst deinem Auto gute Nacht sagen«, ergänze ich.
Herbert sagt: »Und wisst ihr was? Der Wagen schlägt sogar Alarm, wenn das Frischwasser leer ist oder der Fäkaltank voll.« Und während ich noch überlege, wie oft unterwegs wohl das Kontrolllämpchen geleuchtet haben mag, greift Herbert auch schon zur Klopapierrolle, die wenig dekorativ auf der Küchenablage steht. »Bin gleich wieder da«, stöhnt er.
In die andächtige und irgendwie auch mitleidige Stille sage ich: »Also ehrlich, so würde ich mir Camping auch gefallen lassen.«
»Dafür bist du noch viel zu jung«, sagt Horst.
»Du hast doch noch gar keine Ahnung«, sagt Willi mit einem gütigen Lächeln. »Das hier ist die Krönung einer Camper-Karriere.«
Wir klettern aus dem Wagen heraus unter die riesige Markise, von der ich mal annehme, dass auch sie automatisch ein- und ausfährt. Herbert und Ute besitzen sogar Gästestühle. Nur gut, dass sie die nicht haben stehen lassen statt der Ravioli-Dosen.
Camper-Karriere – was für ein wundervoller Begriff. Normalerweise geht es mit Zelten los. Kleines Zelt, großer Sockengestank. Und das in einem Alter, in dem du vorm Spiegel im Gemeinschaftsbad außer dem Bartflaum auch noch die Pickel entfernst.
Inzwischen hat sich auch Herbert wieder zu uns gesellt. Er wirkt erleichtert, und das liegt gewiss nicht nur daran, dass er sich eine kühle Dose Beck’s geöffnet hat.
Die drei holen zu einem fulminanten Referat über die Geschichte des Campens in Deutschland aus, und im Prinzip hat es bei allen irgendwie ähnlich begonnen. Ende der Sechziger sind sie mit ihren ersten Autos losgezogen, an der Anhängerkupplung eine Art bewohnbares Ei, was aber immer noch bequemer war als ein Zelt.
Und dann ging es Richtung Süden, in das ewige Sehnsuchtsland der Deutschen, wo es in der Nähe von Venedig den ersten großen Campingplatz gab. Der Union Lido beherbergte damals bevorzugt Mitarbeiter des Auto-Herstellers NSU; es war die billigste Art, ein paar Wochen Ferien in Italien zu verbringen. Die Deutschen tranken zum ersten Mal Espresso und Chianti-Wein, den sie noch Schianti aussprachen. Sie lernten, mit Löffel und Gabel lange Nudeln aufzurollen, und verloren ihre Furcht vor der Pizza, die man seinerzeit noch »Mafia-Torte« nannte.
Der Union Lido muss ein mythisches Paradies gewesen sein, das sich inzwischen in eine veritable Hölle verwandelt hat, wenn man Horsts bedrückenden Schilderungen glauben darf, der vor ein paar Jahren noch mal dort war: bevölkert wie eine mittlere Kreisstadt, die Campingplatzordnung so dick wie das Telefonbuch von Berlin, Lautsprecherdurchsagen wie auf dem Appellhof, aber immerhin Handyempfang.
Für Leute wie Herbert und Ute sind solche Campingplätze ein Alptraum. In ihrer Reisemobil-Gemeinschaft müssen sie sich ja schon verteidigen, dass sie überhaupt so einen lauschigen Ort wie das Grande Paradiso besuchen. Orthodoxe Wohnmobilbesitzer haben in der Regel für Campingplätze und deren Schrebergarten-Ästhetik nichts weiter als Verachtung übrig. »Mit einem Wohnmobil unterwegs zu sein, das bedeutet Freiheit. Freiheit als solche, verstehst du?«, sagt Herbert. Einfach die Markise einrollen und los! »Du packst in einer halben Stunde zusammen und fährst einfach weiter, wenn es dir irgendwo nicht gefällt. Und vor allem kannst du anhalten, wo du willst.«
»Also auch auf dem Straßenstrich von Ancona?«, frage ich.
»Manchmal geht es eben auch daneben«, sagt Herbert schmunzelnd und erzählt, wie sie mit ihrem alten Wohnmobil mal in der Nähe einer Bushaltestelle geparkt haben und morgens von sizilianischen Schulkindern
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