Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
Selbstzweck. Unterwegssein als Metapher für – wie hatte er das formuliert? – »die Freiheit als solche«.
Mir ist das nicht unsympathisch. Natürlich fühlt man sich auf einem Campingplatz auch ungebundener als in einem Hotel. Du entgehst den entwürdigenden Buffet-Schlachten, die speziell von Deutschen erbittert geführt werden. Zumal, wenn es Räucherlachs zum Frühstück gibt.
Aber diese Sorte Freiheit erlebt man auch im gemieteten Ferienhaus.
Mehr als zehn Jahre lang haben sie auf so ein Wohnmobil hingespart. Jeden Monat einen Tausender zurückgelegt, und wenn es ging, sogar zwei. Und als Herbert seinem Sohn endlich zutraute, den Betrieb zu übernehmen, da fuhren sie zum Händler, blätterten durch einen Katalog voller Extras und setzten ihre Kreuzchen. Es ist fast die gleiche Geschichte wie bei Willi. Nur dass der Herbert Wände verputzt und angestrichen hat.
»Und jetzt weißt du auch, warum ich dir gesagt habe, dass du zu jung für so ein Ding bist«, sagt Horst, »wenn du so ein Wohnmobil wirklich nutzen willst, brauchst du Zeit. Und die hast du nur als Rentner.«
»Früher habe ich immer gesagt, selbständig zu sein bedeutet, selbst ständig zu arbeiten«, sagt Willi, »heute kann ich selbst ständig neu entscheiden, was ich mit meiner Freizeit anfange.«
Wie hat Lena gesagt: Siebzig ist das neue Fünfzig. Die Rentner sind keine senilen Alten mehr, sie sind jetzt Best Ager , und allmählich verhalten sie sich auch so, wie sich ein paar Marketingtypen das ausgedacht haben. Es ist das klassische Henne-und-Ei-Phänomen: Was war früher da – die Begrifflichkeiten oder der Lebensstil? Das weiß man heute ja nicht mehr so genau.
Diese Leute hier haben jedenfalls nicht nur das nötige Geld angespart, um ihre Träume zu leben. Sie sind oft genug auch aufgeschlossener und neugieriger als ihre Kinder, und wenn ich mir den Herbert anhöre, dann sind sie getrieben von einem kaum zu stillenden Nachholbedürfnis: Genuss nach einem Leben voller Entsagung und Selbstbeschränkung, Kultur und Bildung nach Jahrzehnten der stumpfen Plackerei. Wobei die Sache mit dem Genuss auf Herbert und seinen überempfindlichen Magen nur bedingt zutrifft.
Was mir allerdings einige Sorgen bereitet, ist die Vorstellung, mit meinem kleinen Fiesta so einem 70-Jährigen und seinem Beinahe-7,5-Tonner in den Serpentinen Auge in Auge gegenüberzustehen.
Interessant ist doch, dass mein Opa damals in dem Alter seinen Führerschein freiwillig zurückgegeben hat, was nicht nur ich als Segen für ihn und sein gesamtes Dorf empfand. Er besaß einen grünen Ford Escort, den meine Tante nur liebevoll den »Frosch« nannte, und das hatte weniger mit der Farbe zu tun. Sondern eher mit dem kleinen Hüpfer, den der Wagen jedes Mal machte, wenn der Opa ungelenk losfuhr.
Die einen kaufen sich ein Haus in Naples, Florida, und verbringen ihren Lebensabend unter Palmen, bis sie auf dem Golfplatz einen Herzinfarkt kriegen. Und diese Männer hier klemmen sich in Shorts und Feinripp ans gewaltige Lenkrad und durchqueren in kürzester Zeit ganz Europa von Norden nach Süden. Entweder sie sind zähere Burschen als mein Opa, was durchaus denkbar ist. Oder aber sie sind rollende Zeitbomben.
»Also«, sagt Willi und rappelt sich bierbeschwert von seinem Campingstuhl hoch, »heute Abend machen wir erst mal ein Begrüßungsgrillen bei mir.« Er wirft mir einen väterlich-tadelnden Blick zu: »Mit Holzkohle!«
Willi hat gewaltig aufgetischt. Offenbar hat er seine Rentner-Prioritäten ganz auf Genuss eingerichtet. Zur Feier des Abends hat er eines seiner feinsten T-Shirts aus dem Schrank gezogen. Es trägt die Aufschrift: »Two beer or not two beer«. Immerhin, und das wird Lena freuen, war es ihm nicht gelungen, seine Rita davon abzuhalten, auch zwei große Schüsseln Salat anzurichten.
Aus dem CD-Player tönen deutsche Schlager, wie sie auf Bayern 1 laufen. Das dominierende Tischgespräch sind jetzt mal wieder meine kleinen und größeren Missgeschicke. Es wird herzlich und viel gelacht. Natürlich auf meine Kosten. Und im Prinzip ist es ja auch nicht ganz unverdient. Kommt offenbar nicht so oft vor, dass sich ein Camping-Novize nach Sepiana verirrt. Und nachdem ich von meinen Begegnungen mit dem Bürgermeister erzählt habe, berichten wir Herbert von unserem Guerilla-Projekt, aus dem zu meiner Enttäuschung schon ein bisschen die Luft raus zu sein scheint.
Herbert ist begeistert: »Der Kerl hat sich schon längst mal eine gehörige Abreibung verdient«,
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