Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
ordentlich durchgeschaukelt wurden. Oder von dem Bauern, der ihnen mitten in der Nacht den Lauf seiner Jagdflinte unter die Nase hielt und bei der heiligen Jungfrau Maria schwor, er würde abdrücken, wenn sie nicht augenblicklich von seinem Feld verschwinden.
Er erzählt wundervolle Anekdoten vom Wildcampen, wie er das nennt, unterbrochen nur von Horst und Willi, die ebenfalls ihre kuriosen Erinnerungen zum Besten geben. Ich würde wahrscheinlich nicht eine dieser Geschichten glauben, säße ich nicht zwischen wahrhaftigen Veteranen des Reisens auf Rädern.
Ich gewöhne mich gerade daran, dass Herbert sich seine Auszeiten nimmt, nun aber ist er schon seit über einer Viertelstunde verschwunden. Keine Spur von dem armen Kerl.
»Meint ihr, wir müssen uns Sorgen um ihn machen?«, frage ich in die Runde.
»Keine Ahnung«, sagt Horst, »aber du kannst ja mal nachsehen. Du bist der Jüngste.«
»Da kannst du ihm gleich was zu lesen mitbringen«, sagt Willi.
»Vielleicht ist ihm das Klopapier ausgegangen«, sagt Ute. »Warte! Ich gebe dir noch eine Rolle.«
Als ich das Toilettenhäuschen betrete, höre ich ein verängstigtes Flüstern: »Hallo? Ist da jemand?«
»Herbert?«
»Ja, pst.«
»Was ist los?«
»Hier ist eine Schlange«, flüstert er, »direkt an meinen Füßen. Verdammte Scheiße!«
»Beweg dich nicht! Ich hol Hilfe!«
Ich stürme nach draußen und suche Rosella, die Putzfrau. Sie wird schon wissen, was zu tun ist. Rosella steht unter einem Feigenbaum am WC Kimik und raucht.
» C’è un , äh«, stammele ich. Dummerweise habe ich keine Ahnung, was Schlange wohl auf Italienisch heißen mag. Ich versuche es mit Gesten, Italo-Style eben: »Allora, c’è un«, ich ziehe meine beiden gekrümmten Hände auseinander, was ehrlicherweise alles bedeuten kann: langes Kabel, kurzer Dackel. Dann mache ich »zzzzzzz« und imitiere pantomimisch mit der rechten Hand ein zubeißendes Maul.
Rosella lacht. Und sagt: »Un attimo« , nimmt noch zwei bemerkenswert tiefe Züge ihrer MS-Zigarette, dann gehen wir ins Toilettenhäuschen zurück.
»Apri« , sagt Rosella. Sie klopft.
»Du sollst aufmachen«, dolmetsche ich.
»Geht nicht. Schlange!«, ruft Herbert.
Rosella öffnet mit einem Geldstück unter schallendem Gelächter die Tür von außen. Und da steht er in seiner Kabine, mit beiden Füßen auf der Klobrille, die Hose zu seinen Knöcheln. Der Herbert: gleichermaßen verschreckt und verschämt. Die Hand vor seinem Dingens.
Die Schlange ist ein glitschiges, braun-beige gestreiftes Wesen, vor dem nicht mal ich Angst gehabt hätte. Mit einer großen Zange, die sie sonst benutzt, um den Müll aufzuklauben, packt Rosella die Schlange, eine Blindschleiche vermutlich, und trägt das Tier nach draußen.
Herberts Gesichtsfarbe wechselt augenblicklich von Angstbleiche auf Schamesröte. Und während wir zurück zu seinem imposanten Charisma gehen, muss ich hoch und heilig schwören, niemandem von dem Zwischenfall zu erzählen. Schon gar nicht seiner Frau. Rosella hat er sicherheitshalber mit einem Trinkgeld geschmiert.
»Ist das eigentlich eure Jungfernfahrt?«, frage ich, nachdem Herbert mir eine Beck’s-Dose in die Hand gedrückt hat.
»Wir waren neulich erst zur Mittsommernacht am Nordkap«, sagt Herbert. »Es war phantastisch. Die Leute feiern bis zum Umfallen. Und es wird wirklich nie ganz dunkel.«
Er und die Ute hatten in einem ihrer vielen Geheimfächer ein paar Flaschen Whisky und Wodka über die Grenze geschmuggelt. »Bei den Preisen ist das die härteste Währung da oben«, sagt er. Und dann wurden sie natürlich überall zum Essen eingeladen.
»Und die Infrastruktur – phänomenal!« Selbst an einsamen Landstraßen habe es an den malerischsten Aussichtspunkten Parkplätze gegeben mit Steckdosen und der Möglichkeit, die Pipi-Box auszuleeren.
Sie sind quer durch Norwegen bis hoch in den Norden gefahren, dann über Finnland und Schweden wieder zurück. »5000 Kilometer in 20 Tagen«, sagt Herbert stolz.
»Und jetzt macht ihr aber Urlaub, oder?«, frage ich.
Ute seufzt.
»Siehst du, genau deswegen lassen wir unsere Kiste jetzt auch wieder hier beim Bauern stehen«, sagt Willi. »Die Rita mag’s eben lieber gemütlich. Wir kommen her, bleiben ein paar Wochen und fahren entspannt nach Hause.«
Herbert lächelt jetzt ein bisschen zu überheblich. Wenn ich seine ganze Mimik richtig deute, hält er sich in seinem Wohnmobil für den touristisch überlegenen Abenteurer. Im Wohnmobil ist das Reisen ein
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