Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
öffnet, um einen verstohlenen Blick zu riskieren.
»Wo kommst du denn her?«, krächzt sie nach ein paar Minuten schlaftrunken.
»Aus dem Inferno. Wir haben dich gesucht.«
»Wie, ihr habt mich gesucht?« Meine Güte, ist die noch verpennt.
»Du bist nicht ans Telefon gegangen, und ich hab mir Sorgen gemacht.«
Sie lächelt mich an: »Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?«
Ich berichte ihr unter dem Siegel der Verschwiegenheit bis ins letzte Detail von Ercoles Schilderungen gestern Nacht. Lena schaut mich an, als ob ich nicht alle Latten am Zaun hätte. Genauso gut hätte ich ihr erzählen können, Guido Westerwelle sei heterosexuell.
»Fabio? Und die Mafia? Dafür ist der doch viel zu dämlich.«
»Steht irgendwo geschrieben, dass Mafiosi einen Philosophie-Lehrstuhl brauchen? Ich finde, das klingt alles sehr plausibel. Und Ercole wird das im Zweifel sogar noch besser wissen als du.«
»Bullshit. Ich hab doch Fabios Freunde gestern kennengelernt. Das sind alles genauso triebgesteuerte Dorfjungs wie er. Nett, lustig, aber nicht besonders helle.«
Sie zieht die Stirn kraus: »Wie bist du denn überhaupt ins Inferno gekommen? Und was heißt: wir?«
Ich versuche, so präzise wie möglich unsere kleine Odyssee durch Sepiana und den Wald wiederzugeben. Lena wird jetzt allmählich wach. Sie ist zwar mächtig sauer auf mich und unsere bescheuerte Suchaktion, trotzdem kann sie sich kaum halten vor Lachen. »Das hätte ich zu gern gesehen, ihr drei Dicken auf der Ape! Und wie der Willi da mitten in der Wildnis mit seiner Bierpulle gestanden ist.« Dann schimpft sie: »O Mann, ihr seid so bescheuert. Wie alt seid ihr eigentlich?«
»Was hat das denn damit zu tun? Ist halt alles ein bisschen aus dem Ruder gelaufen. Aber egal. Sag mal, kannst du mir den Herd anmachen? Ich koche dann den Kaffee.«
Fabio hat Lena offenbar immer heftiger angetanzt, und irgendwann konnte er wohl seine Finger nicht mehr bei sich behalten. Als er sie küssen wollte, stieß sie ihn wütend zurück und knallte ihm eine. Das muss so gegen halb zwei gewesen sein, und Fabio stand wie ein Trottel auf der Tanzfläche im Inferno. Lena brüllte ihn an, dass sie verheiratet sei und er sie sofort zurück ins Grande Paradiso bringen solle. Und er war anscheinend so perplex, dass er das auch ohne weiteres Gezicke gemacht hat.
»Wenn der sich hier noch mal blicken lässt, kann er froh sein, wenn er nur einen Ball in seine Testikel bekommt«, ereifere ich mich.
»Der wird sich hier vorerst nicht mehr blicken lassen, das kannst du mir glauben«, sagt Lena, »und du machst am besten jetzt mal einen Ausnüchterungs-Spaziergang zum Supermarkt und holst unsere Brioches ab.«
Als ich wieder zurückkomme, schaue ich kurz bei Willi vorbei. Der hängt auch ganz schön in den Seilen. Die Rita hat ihn noch in der Nacht dermaßen rundgemacht, dass er lieber seinen Kopf einzog wie eine Schildkröte. So ähnlich jedenfalls schildert er das. Jetzt sitzt er vor einer Reisdorf-Flasche: »Auch’n Konter-Bierchen?«
»Nee, lass mal, die Chefin wartet aufs Frühstück. Und sie ist sauer.«
Lena hat schon den Tisch gedeckt. In der Mitte ist eine Art Kräuterstrauch dekoriert. Ich bin zuerst ein bisschen irritiert, aber dann dämmert mir da was.
»Wo kommt denn der Oregano her?«, fragt Lena.
»Hab ich gestern Nacht im Wald für dich gepflückt. Ich wollte dir halt auch mal Blumen mitbringen. Und Ercole meinte, hier in der Gegend wächst so ziemlich der beste. Müssen wir nur noch trocknen lassen.«
»Aber musstest du ihn gleich komplett entwurzeln?«
Hm, gute Frage. Wahrscheinlich habe ich in meinem Suffschädel geglaubt, dass er so länger frisch bleibt. Was auch immer. »Wir können ihn ja auch bei deinen Eltern im Garten wieder einpflanzen«, sage ich.
Lena schüttelt lachend den Kopf. Zum ersten Mal an diesem Morgen wirkt sie versöhnlich. »Du setzt dich jetzt besser mal hin und trinkst einen Kaffee. Kriegst du überhaupt schon feste Nahrung runter?«
Mit einer Schere zerteilt sie akkurat die »Bild«-Zeitung. Die Gossip-Stories für sie, den Sportteil für mich. Am Strand rattert gerade Bademeister Freddie vorbei, und ich bin noch in einem Zustand, dass es sich so anfühlt, als würde er direkt durch meinen Kopf fahren.
Nach dem Frühstück lümmele ich mich zurück auf die Liege, die ich nach draußen unter das Sonnensegel gezogen habe, und versuche zu lesen. Ich kann nicht genau sagen, womit genau ich mich in den letzten nun fast drei Wochen
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