Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
genommen und ist einfach nicht schnell genug auf die Ladefläche geklettert, als Ercole wieder anfuhr. Und seine verzweifelten Rufe gingen im Motorenlärm komplett unter.
In einer Lichtung hört man schon die Bässe wummern. Das Inferno sieht von außen ungefähr so aus wie eine amerikanische Lodge: eine Fassade aus grobem Naturstein und viel Holz. Auf dem Parkplatz viele frisch gewaschene Autos, deren polierter Lack unter den Laternen glänzt. In einem Cabrio fummelt ein ziemlich unkatholisch knutschendes Pärchen aneinander rum.
Ercole grüßt den Türsteher lässig, der wiederum wirft einen äußerst abschätzigen Blick auf Willi und dessen Outfit. Und das vermutlich nicht nur wegen seines »Bier formte diesen wunderschönen Körper«-Shirts.
Das Inferno ist an sich ein ziemlich kleiner Club, allerdings hat er eine riesige Terrasse, die bis hinüber zu den Steilklippen der Adria-Küste reicht. Ein paar weiße Himmelbetten gruppieren sich in den dunkleren Ecken um den kleinen Pool herum, in dem sich ein paar besoffene Locals spaßeshalber balgen wie kleine Hunde. Aus den Boxen dröhnt »Sexy Bitch« von David Guetta, und ich sehe schon vor mir, wie Fabio sabbernd meine Lena dazu antanzt.
Auf der Tanzfläche sind sie nicht. An der Theke redet Willi gerade auf zwei 16-Jährige ein, die natürlich kein Wort verstehen. »Hast du sie gesehen?«, frage ich.
»Nee, aber trinkst du einen mit?« Er hält mir lachend ein Glas Ramazzotti oder Averna hin, die frische Luft scheint ihn wieder nach vorn gebracht zu haben. Oder die Tatsache, dass er zum ersten Mal seit zwanzig Jahren wieder in einer Disco ist. Willi federt sogar ganz sachte und fast rhythmisch in den Beinen.
Ich lasse ihn mit den Mädels stehen und taumele durch den kleinen Laden. Grelle Lichter zucken von allen Seiten, das Stroboskop an der Decke verwirrt mir die Sinne. Mir wird immer schwindeliger. Auf dem Weg nach draußen stoße ich aus Versehen gegen einen Typen, der mich wütend wegschubst. An meiner schwach zur Entschuldigung erhobenen Hand bemerkt er aber, dass es keine Absicht war, bevor er mir eine reinhaut.
Auf der Terrasse schaue ich auf jedem Himmelbett nach, ob ich Lena und Fabio finde, was von den kuschelnden Paaren auch nicht immer so goutiert wird. Nach ein paar Minuten kommt Ercole auf mich zugegroovt, auch er wieder erstaunlich gut zu Fuß. »Ey Marco, da bist du ja«, ruft er gegen den Lärm der stampfenden Musik. Wir stehen an der Poolbar, Ercole bestellt noch zwei Bier. Er sagt: »Hab ich noch mal mit die Türsteher gesprochen. Der sagt, ist Fabio mit einer blonden Deutschen weggegangen. Bestimmt schon vor zwei Stunden.«
Ich frage mich, ob das jetzt eine gute oder eine schlechte Nachricht ist, und nehme einen Schluck »Nastro Azzurro«.
Tredici
Sonnenstrahlen kitzeln in meinem Gesicht und auf meinem Bauch. Und das ist sehr viel unangenehmer, als es klingt. Ich werde mit nacktem Oberkörper auf unserer Strandliege wach, die ich gestern Abend nach einem Aufräum-Impuls ins Vorzelt geschleppt hatte. Und dort staut sich trotz der geöffneten Tür schon die morgendliche Hitze wie in einem Backofen. Ich halte meine Hand gegen das grelle, blendende Licht.
Alles tut mir weh. Der Schädel, mein Nacken, der Rücken. Total verspannt. Um ehrlich zu sein, habe ich keine Vorstellung, wie ich hierhergekommen bin. Das letzte Bild, das ich memorieren kann, ist das von Willi, wie er mit den beiden 16-Jährigen von der Inferno-Bar am Rand des Terrassen-Pools entlanggetanzt ist. Dabei hat er so neckisch seinen Hintern geschüttelt wie die Drill-Instruktorin von der Acqua-Gym. Der Rest ist Nebel des Grauens.
Mir ist das jetzt ein bisschen peinlich: ein erwachsener Mann, dessen Sorgen sich in ein paar Flaschen Bier auflösen. Ich hole eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank, um den Pelz von meiner Zunge zu spülen, dann klettere ich in den Wohnwagen – auf der Suche nach Lena und Aspirin.
Sie schläft wie ein Neugeborenes, und ihr Mund macht dabei sehr niedliche Seufzer. Im Badezimmer finde ich Kopfschmerz-Tabletten, und nachdem ich zur Sicherheit gleich mal zwei Stück im kalten Wasser aufgelöst habe, kuschle ich mich etwas unbeholfen zu meiner Frau ins Bett.
Sie brummt wie ein kleiner Bär und wälzt sich missmutig zur Seite. Das Brummen wird jetzt lauter. »Mann«, grummelt sie, dann richtet sie sich langsam und ächzend auf; das linke Auge zugekniffen, das rechte ein Schlitz. So ähnlich wie eine Jalousie, die man nur einen Spaltbreit
Weitere Kostenlose Bücher