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Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)

Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)

Titel: Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Götting
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lachen – so schlecht ist dieses Hostile Environment Traning gar nicht. Hätte nur nicht gedacht, dass ich es ausgerechnet in den Flitterwochen würde anwenden müssen.
    »Und was machen wir mit dem Fiesta?«, fragt Lena.
    »Vergiss das Auto. Wenn das hier runterzieht, haben wir andere Sorgen. Lass uns das Zeug einpacken und abwarten. Mehr kannst du eh nicht machen. Bleib einfach ruhig.«
    »Wo ist die schwarze North-Face-Tasche?«, frage ich. »Die ist so gut wie wasserdicht, da können wir alles Wichtige reinschmeißen.«
    Ausweise, Geldbeutel, die Handys, das iPad. Das ist auch so ein Tick von mir, den ich seit meinem Kriegsreporter-Lehrgang konsequent durchziehe: Ich halte immer alles in einer kleinen schwarzen Kladde beisammen, über die Lena sich schon seit Jahren lustig macht. Aber alte Regel in Konfliktregionen: Wenn du irgendwo verschwinden musst, dann muss es schnell gehen. Sehr schnell. Ich sage: »Pack für jeden ein T-Shirt ein und die Turnschuhe! Alles andere ist egal.«
    Weiter vorne auf dem Weg, kurz vor dem Restaurant, haben sich die Autos längst wie ein Wollknäuel ineinander verkeilt, es geht weder vor noch zurück, weil die Wagen aus allen Richtungen kommen.
    Ich muss an die Tage nach der Fukushima-Katastrophe denken. Ich war in eine kleine Stadt in der Nähe von Sendai gefahren, im Norden Japans. Dort hatte der Tsunami entlang der Küste ganze Dörfer fortgespült. Auch dieses. Ein Augenzeuge erzählte, dass nur eine einzige Straße aus dem Dorf hinausführte. Und alle, die mit dem Auto flüchten wollten, wurden Opfer der Fluten.
    Jetzt kann ich mir plastisch vorstellen, wie das ausgesehen haben muss. Vor unserem Wohnwagen steht ein Auto mit Passauer Kennzeichen, der Fahrer hupt, weil er nicht weiterkommt. Ich reiße seine Beifahrertür auf: »Lass deine Karre stehen, Mann, oder willst du da drin verbrennen?«
    Er zeigt mir den Mittelfinger und kräht: »Halt’s Maul!« Ich habe mich ja schon immer über die Deutschen und ihre Liebe zu ihren Autos lustig gemacht. Jetzt halte ich das nur noch für geisteskrank.
    Inzwischen wird der Gestank immer beißender. Wie ein Kamin, wenn du vergessen hast, die Entlüftungsklappe zu öffnen. Der Qualm hüllt allmählich die Bucht ein. Die Hitze der Flammen ist körperlich spürbar. Es wird minütlich heißer.
    Ich ziehe ein langärmeliges T-Shirt über und schnalle unsere Tasche auf meinen Rücken. »Nimm dir noch ein Tuch mit, das du vor den Mund halten kannst. Oder ein T-Shirt, egal, irgendwas«, sage ich zu Lena. »Und jetzt runter an den Strand.« Ich greife mir noch zwei Handtücher: »Hier – mach das nachher nass und leg es dir zum Kühlen in den Nacken.«
    Im Wasser ist ein Gewimmel wie in den übelsten Zeiten der Hochsaison. Alle schreien wild durcheinander. Szenarien wie diese haben wir bei unserem Training immer wieder durchgespielt, und in Ansätzen habe ich sie auch schon ein paarmal erlebt: ein wütender Mob, der in Lynchstimmung gerät, oder Massenpanik nach einem Bombenattentat. Dagegen ist das hier relativ harmlos. Im Wasser sind wir schließlich in Sicherheit.
    Die Umsichtigeren unter den Eltern streifen ihren Kindern Schwimmflügel über, damit sie nicht absaufen in dem Chaos. Ein paar Leute schieben gerade ihr Hab und Gut auf einer Luftmatratze vor sich her, andere haben ihr Zeug in ein Schlauchboot geladen.
    Man kann förmlich spüren, wie der Wind stärker wird und das Feuer nur noch mehr anfacht. Und der Himmel verfinstert sich. Es ist Mittag, vielleicht zwölf oder halb eins, aber es sieht aus, als würde die Nacht hereinbrechen.
    Lena nimmt meine Hand: »Lass uns immer zusammenbleiben, hörst du? Egal was passiert!«
    Um uns herum fangen die ersten Leute an zu husten; sie spucken ihren Rotz ins Wasser. Der Qualm brennt in den Augen, in den Lungen. Ich atme durch ein T-Shirt, das macht es ein bisschen besser. Normalerweise habe ich immer einen Zehnerpack Mundschutz-Masken im Gepäck, wenn ich in irgendwelche Krisengebiete fliege. Gegen den Gestank von Verwesung. Oder den Feinstaub in zerstörten Gebäuden.
    Die ersten Motorboote erreichen die Bucht vor dem Grande Paradiso. Offenbar sind die Fischer aus Sepiana rübergekommen, um die Touristen zu evakuieren. Nach und nach kommen mehr Schiffe an, was die Panik aber nur noch steigert. Die Leute schubsen und drängeln und prügeln sich um die Plätze an Bord.
    Ein paar Meter von uns entfernt sehe ich Bürgermeister Helmut und Sagrotan-Susi im knietiefen Wasser stehen. »Komm«, sage

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