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Alles bestens

Alles bestens

Titel: Alles bestens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Doelling
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die Menschheit zu unterhalten. Je blöder ein Scherz, je dankbarer die Meute.
    Einer der drei verschluckte sich sogar am Lachen. Ein anderer grölte mir Rauch ins Gesicht. Ich beschloss in dem Moment, wieder Nichtraucher zu werden, obwohl ich wusste, dass mich das auch nicht wieder zurückbringen würde, nach Zehlendorf, zu meinem Ausgangspunkt, Montagmorgen, Viertel vor acht. Eigentlich wollte ich gar nicht mehr zurück. Ich wollte auch kein willenloser Mitläufer mehr sein. Ich wollte selbst bestimmen, wie es mit mir und meinem Schicksal weiterging. Ich war froh, den Joint erfolgreich verweigert zu haben. Ich war also doch zu was fähig!
    Die Jungs kicherten wie kleine Mädchen, ließen mich aber in Ruhe. Ich schaute hinab, auf den Schatten des Scheinriesen, er war jetzt winzig klein, dann wehte mir ein rundes Stück Papier vor die Füße, ein Foto. Ich hob es auf. Ein Mädchen, in durchsichtigem, grünem Top, mit hochgesteckten Haaren und honigbraunen Augen. Sie hatte ein Mikrofon in der Hand. Ich hörte sie singen: Deutschland ist ein sehr, sehr schöner Land – Deutschland ist ein sehr, sehr schöner Land …
    Mir wurde ganz grün vor Augen und ich rief: »Das heißt: Deutschland ist ein sehr, sehr schönes Land!« Den Jungs fielen die Kinnladen ab; Münder öffneten sich wie Fischmäuler und schnappten nach mir.
    Ich stand auf und öffnete die Arme wie Jesus, als er über das Wasser gehen wollte, und rief: »Deutschland ist ein sehr, sehr schönes Land!« Da nahm der Scheinriese dort unten sein Gewehr vom Rücken und legte an.
    Im Nu hatte sich eine Menschenmenge vor dem Jüdischen Museum gebildet und alle zeigten auf mich. Mir fiel ein, dass ich irgendwo gelesen hatte, Jesus sei gar nicht auf dem Wasser gewandelt, sondern über Eis gegangen. Damals soll es nämlich besonders kalt am See Genezareth gewesen sein. Der gute See war zugefroren, hatte seinen Aggregatzustand geändert, wie jeder andere anständige See ab null Grad auch. Demnach hätte Jesus also nur so getan, als ob er über Wasser wandelte. Und wir armen Idioten glaubten seit 2000 Jahren an diesen Schwachsinn und schlachteten uns ab für unsere Götter.
    Ich starrte auf das Foto in meiner Hand. Auf der Rückseite stand: Talentshow, Beginn 17 Uhr. Sei unser Superstar! Heute: wichtiger Vorentscheid, im Zitrus .
    Ich konnte gerade noch die Adresse lesen – dann wurde ich zu Boden gerissen. Ein Saphir saß auf meinen Füßen, die anderen beiden drückten mir die Arme aufs Dach. Ich leistete keinen Widerstand, hielt nur das Foto von Sandra in der Hand, hielt es ganz fest.
    »Bist du blöd oder was?«, sagte einer. Ein anderer zitterte. Der Dritte sagte: »Jetzt holt uns die Polizei.«
    Ich dachte nur an Sandra, es gab keinen Zweifel, sie war es, meine Sängerin vom Schlachtensee. Wasserperlen rannen aus ihren Haaren, liefen über ihre Schlüsselbeine und tropften mir ins Gesicht.
    Sie war also in der zweiten Runde, sonst würde es ja nicht solche Fotos von ihr geben. Um weiterzukommen, musste sie also mit Pieter Mohl bumsen.
    Ich schüttelte die drei Saphirs wie lästige Fliegen von mir und rannte zur Feuerleiter, nahm drei Sprossen auf einmal, rutschte am Efeu ab, fing mich wieder, sprang auf den Boden. Von Weitem hörte ich Sirenen.
    Ich lief an dem Scheinriesen vorbei, der ganz schlapp und klein war und noch immer auf das Schulhaus zielte. Ich musste sofort ins Zitrus .

Zitronenland
    Das Zitrus war ein vergitterter Keller. 16 Uhr und keiner da. An der Hauswand Plakate von Mädchen in silbernen Hotpants, halb abgerissen, halb überklebt. Die Straße kannte ich nicht, überall neue Häuserblocks, mit digitalen Anzeigetafeln, über die sich rote Sätze schlängelten: Großräumiges, attraktives Bürogebäude zu vermieten, voll klimatisiert … echter Geschmack und zero Zucker … kostenlos powersaugen … wir machen Millionäre …
    Aber kein Mensch in Sicht. Auf den Bürgersteigen nur Laternen und Schatten. Auch keine Autos. Was für ein steriler Ort für einen Club! Ich kam mir vor wie in Legoland. Auf einer Digitalanzeige wechselte jetzt die Uhrzeit mit der Temperatur. 24 Grad und immer noch 16 Uhr, nicht mal die Minuten vergingen hier.
    Ich drehte um und ging durch leere Straßenschluchten, an riesigen Werbeplakaten vorbei, überquerte die Spree, schlenderte die Köpenicker Straße entlang, Richtung Mariannenplatz, wich Kinderwagen aus, Hunden, Fahrradfahrern und verschleierten Frauen. Hier tobte das Leben. Neben einem türkischen Obst- und

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