Alles bleibt anders (German Edition)
Namen.
Dann griff er schweigend nach dem Spaten, den Jan noch in der Hand hielt. Jan ließ den Spaten los und Frank sprang in den bereits etwa einen halben Meter tiefen Aushub. Tristan folgte ihm, während Paul wieder im Schatten Platz nahm und Jan sich neben die Grube stellte.
Bereits nach kurzer Zeit schmerzte Franks Rechte, der Spatengriff drückte durch den Verband genau auf seine lädierte Hand.
Frank nahm keine Rücksicht darauf, bis er nach mehr als einer halben Stunde begriff, dass er seiner Verletzung keinen Gefallen damit erwies. Jan löste ihn ab und Frank setzte sich zu Paul.
Dieser befreite mit einem etwa fünfzehn Zentimeter langen Messer zwei armdicke Äste von ihrer Rinde. Er wurde gerade damit fertig und schnitzte nun zwei Buchstaben in das kürzere der beiden Rundhölzer: 'K. D.'
Erst jetzt entdeckte Frank die beiden Gräber, die ein paar Meter weiter ebenso am Waldessaum lagen. Einfache Holzkreuze zierten sie. Die eingearbeiteten Initialen waren nur noch mit großer Mühe zu erkennen, die Kreuze schienen schon eine längere Zeit der Witterung ausgesetzt zu sein.
Waren es die Buchstabenkombinationen 'Z. P.' und 'S. P.', die er dort las?
»Jans Vater und Jans Schwester«, kommentierte Paul und widmete sich wieder seinen Schnitzereien, um die Äste weiter zu verschönern.
»Die alte Frau im Haus«, begann Frank und ließ die Frage unformuliert.
»Frau Petersen, Jans Mutter«, erklärte Paul und nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Sie ist – sage und schreibe – mittlerweile vierundneunzig Jahre alt!«
»Sie hat zu mir gesprochen, aber ich habe sie nicht verstanden.«
Ein Lächeln schlich sich auf Pauls Lippen.
»Oh, keiner von uns versteht sie, außer Jan. Er behauptet, sie spräche dänisch. Ich kenne niemanden, der das bestätigen könnte.«
»Dänisch?«
»Ja. Jan hat erzählt, sie hätte Zeit ihres Lebens kein Wort deutsch gesprochen. Sie hat sich einfach geweigert, als damals die Gesetze erlassen wurden.«
Er hielt die Äste mit dem Arm von sich weg, um seine Schnitzarbeiten mit etwas Abstand zu betrachten.
»Vierundneunzig Jahre«, wiederholte er, als ob er es sich selbst immer wieder bestätigen müsste.
»1914«, rechnete Frank zurück, der froh über die Ablenkung war.
»Das Jahr, in dem alles anfing. Es begann mit dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger in Sarajevo und endete einunddreißig Jahre später mit der Kapitulation Großbritanniens, dem letzten souveränen Staat Europas. Das Deutsche Reich hat aus diesem bunten Flickenteppich mit seiner Vielzahl babylonischer Sprachen einen akkuraten, braunen Teppich geknüpft.«
Er widmete sich wieder seinen Schnitzereien.
»Nach deutscher Norm. Nur unter den Teppich gucken, das darf man nicht, nein, nein! Oder daran ziehen, oder eine Schlaufe lösen«, ergänzte er, mehr zu sich selbst, »der alte darunter, der Flickenteppich, ist nach und nach verrottet.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass es noch jemanden gibt, der dänisch spricht.«
»Angeblich soll es drunten, in den Alpen, noch Enklaven geben, in denen rätoromanisch oder französisch gesprochen wird.«
Frank starrte in die Grube, die mittlerweile beinahe einen Meter Tiefe erreicht hatte.
Er hörte ein Türknarren und sah zurück zum Haus. Es war ein altes Bauernhaus, neben dem noch der ehemalige Kuhstall stand, der so aussah, als würde er beim nächsten Sturm in sich zusammen fallen. Beide Gebäude standen auf einer Waldlichtung. Aus dem Haus trat Professor Gothaer und kam auf die Gruppe am Waldesrand zu; die Frank bereits bekannte blonde Frau stützte ihn.
Die drei letzten Jahre waren nicht spurlos an Gothaer vorüber gegangen. Er ging leicht gebeugt und humpelte. Für einen Zweiundsechzigjährigen wirkte er äußerst gebrechlich. Jan und Paul, die Frank etwa auf das gleiche Alter schätzte, wirkten ungleich agiler und jugendlicher.
Frank erhob sich.
»Ich wünschte, es wären bessere Umstände, zu denen wir uns wieder begegnen, Herr Gothaer.«
»Robert«, korrigierte ihn der Professor, »die Formalitäten haben wir inzwischen längst abgelegt. Wir können uns keinen unnötigen Ballast erlauben.«
Seine Stimme war kräftig und klar wie eh und je. Seine Augen blitzten aufgeweckt hinter den überdimensionierten Brillengläsern, die zweifellos dieselben waren, die Gothaer seinerzeit in Oxford getragen hatte. Ein Lächeln schlich sich in sein vom Gram gezeichnetes Gesicht.
»Dennoch bin ich sehr froh, einen Totgeglaubten wieder zu sehen.«
Sie drückten sich herzlich die
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