Alles bleibt anders (German Edition)
Rotwein in die Bratensoße kippen. Das macht euch ein bisschen entspannter!'«
Sie lachten befreit auf, Robert jedoch verzog keine Miene. Er wirkte ernst und verbittert.
Jan kam zurück und setzte sich an den Tisch, während Paul, noch ein belegtes Brot in der Hand, aufstand und nach draußen ging.
Jeder in der Küche war in seine Gedanken versunken. Jeder hatte seine eigenen Erinnerungen an die Frau, die sie gerade eben zu Grabe getragen hatten.
Durchs Fenster sah Frank, wie Paul auf einem schwarzen Herrenrad den Waldweg entlang vom Hof fuhr.
Tristan brach als erster das Schweigen.
»Es interessiert uns alle brennend, Frank. Was ist gestern geschehen, mit Karen und dir? Was ist dir widerfahren, seit wir dich das letzte Mal gesehen haben, vor drei Jahren, in Germania?«
Zuerst langsam und stockend, dann immer flüssiger, erzählte Frank in allen Einzelheiten seine Geschichte.
Die Geschichte, wie er vergangenen Sonntag an einem Bahnhof aufgetaucht war, den es eigentlich gar nicht mehr geben dürfte.
Die Geschichte, wie er um eine Identität gekämpft hatte, von der er jetzt wusste, dass es nicht die seine war.
Die Geschichte von Resonanzkörpern und Alter Egos, die zu lebenden und liebenden Menschen geworden waren.
Die Geschichte, die er gestern auch Karen erzählt hatte und all das, was er danach gemeinsam mit ihr erlebt hatte.
Von Dieters Verrat berichtete er und von Dieters Ende.
Abschließend sprach er aus, was allen in diesen Minuten bewusst wurde.
»Unser Experiment hat mindestens vier Menschen das Leben gekostet, ganz abgesehen von dem Leid, das es anderen zugefügt hat.«
»Nach allem, was ich gehört habe«, entgegnete Jan, »ist zumindest um Dieter keine Reue angebracht.«
»Um unseren vielleicht«, sagte Tristan.
»Was ist mit dem anderen Dieter Wiegand?«, fragte Frank. »Wir können uns nicht anmaßen, von unserem Dieter Wiegand auf sein Ebenbild dort zu schließen. Jeder ist nicht nur ein Produkt seiner Gene, sondern auch ein Kind seiner Lebensumstände. Wollten wir unseren Kampf nicht auch um diese Wahrheit führen?«
»Was ist mit dem anderen Dieter Wiegand?«, wiederholte Marianne die Frage und sah dabei Robert an. »Lebt er noch? Irgendwo? Vegetiert in einem Koma-Zustand dahin? Ist er gestorben, verdurstet, oder hat er erst gestern gemeinsam mit unserem Dieter sein Leben ausgehaucht?«
»Ich weiß es nicht!«, sagte Robert, und es war sein erster Satz, den er sprach, seit sie am Esstisch saßen.
»Warum kann ich mich an Situationen aus der Vergangenheit eines anderen Menschen erinnern, als ob ich sie selbst erlebt hätte? Karen konnte dies nicht.«
»Ich weiß es nicht!«, sagte Robert erneut.
»Heißt es nicht, dass im Augenblick des Todes das eigene Leben noch einmal wie ein Film an einem vorüberzieht?«, sagte Tristan.
»Du meinst, der Transfer fand exakt in diesem Moment statt?«, fragte Marianne.
»Das ist die einzige logische Erklärung! Was Robert und ich für 'Einschlafen' gehalten haben, war in Wirklichkeit ein 'Ableben'. Wir hatten so lange auf diesen Zeitpunkt gewartet, da haben wir Frank ohne zu zögern los geschickt. Wenige Sekunden später, und wir hätten möglicherweise keinen Kontakt mehr zu Franks Alter Ego gehabt, da der andere Frank dann schon tot war.«
»Die Folge davon waren drei Jahre, die ich vermutlich in einem komaähnlichen Zustand wer-weiß-wo verbracht habe, ohne jegliches menschliche Bedürfnis wie Essen oder Trinken.«
»So muss es gewesen sein«, nickte Tristan, »dazu kommen die Manipulationen, die an den Rechnern vorgenommen worden waren; das Flackern, das Robert und ich beobachtet hatten. Für einen Augenblick waren die beiden angemessenen Ebenen und unsere eigene Realität eins. Drei Frank Millers berührten sich, der 23. Mai 2005 und der 25. Mai 2008 flossen zusammen, zumindest in der Wahrnehmung Franks.«
»Das wäre eine mögliche Erklärung, Tristan, auch für Franks Amnesie«, meinte Robert.
»Ich habe keine bessere im Angebot. Was mich immer noch wurmt, ist, dass es ihnen gelungen ist, in unsere Rechner einzudringen, trotz meiner umfangreichen Vorsichtsmaßnahmen. Ein zweites Mal wird ihnen das sicher nicht glücken.«
Frank saß plötzlich wie erstarrt und erbleichte: Er erinnerte sich.
»Ich sah Menschen, in einem Park. Sie grillten Fleischstücke und Würste.«
»Wo? Wann?«, wollte Robert wissen.
»Bei meiner Ankunft am vergangenen Sonntag, am Görlitzer Bahnhof. Da verliefen noch keine Gleise zu meinen Füßen und plötzlich waren sie da. Sie
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