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Alles bleibt anders (German Edition)

Alles bleibt anders (German Edition)

Titel: Alles bleibt anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Langer
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Streichen ertappt war und alle Indizien gegen sie sprachen. Wie damals mit der Erdbeerbowle. Oder später, als sie die 'Vortrags- und Filmreihe zu Ehren unseres Generals a. D. Georg Heider' initiiert hatte. Frank war nicht dabei gewesen, doch Karen hatte ihm in Oxford immer wieder von dem Aufruhr erzählt, den ihre Aktion im Seniorenheim im sächsischen Bad Schandau verursacht hatte. Und ihr naiv-unschuldiges Gesicht ließ ihn nicht los. Dabei hatte sie es faustdick hinter den Ohren gehabt. Träume, Pläne, Visionen. Ihren Enthusiasmus hatte sie bis ins Erwachsenenalter gerettet. Als Frank sie in Oxford wieder getroffen hatte, hatte sie förmlich vor ungenutzten Energien gesprüht.
Etwas die Welt Veränderndes hatte sie erfinden oder entdecken wollen, so etwas wie die Dampfmaschine oder die Elektrizität. Und letzten Endes hatte sie doch mit dem wohl bedeutendsten Physiker seiner Zeit zusammen gearbeitet. Dass Professor Robert Gothaers Name oder gar der von Karen Degner in die Geschichtsbücher eingehen würde, blieb jedoch unwahrscheinlich.
Dass er während seiner vierjährigen Dienstzeit bei der Wehrmacht keinen Kontakt zu Karen gehalten hatte, tat Frank nun leid.
Wie viel verlorene Zeit!
Unwiederbringlich?
Sie mussten das Experiment zu Ende bringen, komme was wolle.
Das einzelne Individuum zählt alles und nichts.
'Ich muss meinen Weg gehen, Karen.'
Er bewegte seine Lippen, ohne einen Ton zu sagen.
'Ich muss meinen Weg gehen, Claire.'
Karen lag vor Frank in ihrem Grab und hatte Menschen, die an ihrer letzten Ruhestätte trauerten. Und damit hatte sie mehr als viele andere.
Andere, die in anonymen Massengräbern für immer aus der Geschichte getilgt wurden.
Andere, die, dem Abfall gleich, vernichtet, zerstört, verbrannt wurden.
Andere, die einzig und allein noch in der Erinnerung ihrer Liebsten weiter lebten.
Sofern ihre Liebsten selbst noch lebten, um ihrer zu gedenken.
Wie viele Ketten und Bande wurden zerschmettert?
Dieters Worte dröhnten in Franks Ohren: 'Wer die Schrift kontrolliert, kontrolliert die Geschichtsschreibung. Und wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert auch die Vergangenheit, so einfach ist das.'
Tristan und Jan griffen nach den Spaten und schaufelten die braune Erde auf die in weiße Leintücher gehüllte Leiche. Die anderen standen stumm daneben und beobachteten, wie das Grab sich füllte. Ein kleiner Hügel entstand und Paul steckte das Holzkreuz ans Kopfende des Grabes. Keiner weinte, keiner schluchzte, keiner wehklagte. Sind irgendwann alle Tränen versiegt?

3
     
    Während die anderen auf der Eckbank in der Küche Platz nahmen, deckten Marianne und Paul den Tisch: Brot, Käse und Wurst.
Jan schnitt das Brot in Scheiben, legte drei davon auf einen Teller, dazu jeweils ein Stück Emmentaler und ein Stück Hartwurst. Er nahm den Teller in die eine Hand, Messer und Gabel in die andere, und verließ die Küche.
»Sie ist schon seit drei Tagen nicht mehr nach unten gekommen«, erklärte Tristan, »einmal hat sie ihre Kammer vierzehn Tage lang hintereinander nicht verlassen. Ihren Nachttopf stellt sie dann einfach vor die Tür. Ihr stinke er zu sehr, sagt sie dann zu Jan, wir sollen ihn einfach entleeren, wenn er uns zu sehr störe.«
Freundlich lächelnd hielt Marianne Frank die Käseplatte entgegen.
»Du musst etwas essen, Frank.«
Frank dachte nach, wann er zuletzt etwas gegessen hatte: gestern Mittag; eine Kleinigkeit, während er mit Karen unterwegs gewesen war.
Er griff zu.
»Es ist ja nicht so, dass sie so gebrechlich wäre, dass sie nicht mehr die Stufen herunterkäme«, fuhr Tristan fort, »wir haben ihr mehrfach angeboten, ihr hier im Erdgeschoss ein Zimmer einzurichten, damit sie es leichter hat. Sie wohne seit 1916 in diesem Zimmer, hat sie schnippisch geantwortet, und wenn wir sie aus ihrem eigenen Haus vertreiben wollten, dann sollten wir es nur versuchen; sie habe schon Mittel und Wege, sich zu wehren. Keiner von uns hat gewagt, ihr zu widersprechen.«
»Jedenfalls«, erzählte Marianne weiter, »als sie sich nach den vierzehn Tagen wieder hier unten blicken ließ, setzte sie sich ohne ein Wort des Grußes zu uns in die Küche, schob sich ihr Gebiss in den Mund und aß Braten mit uns. Sie blieb etwa eine Stunde hier auf der Eckbank sitzen und sagte nur zwei Sätze, dann verschwand sie wieder, jeweils zwei Treppenstufen auf einmal nehmend, nach oben. Als sie die Küche verlassen hatte, baten wir Jan um die Übersetzung.«
»Und?«, wollte Frank wissen.
»'Ihr müsst etwas mehr

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