Alles bleibt anders (German Edition)
verlief quer durch Europa und quer durch das ehemalige Deutsche Reich. Der westliche Teil des Deutschen Reichs bekannte sich zu einem demokratischen System in der Tradition der Interimszeit zwischen 1918 und 1933 und erlebte bereits wenige Jahre nach der Niederlage eine wirtschaftliche Blüte, der östliche Teil wurde nach sowjetischem Vorbild organisiert und fiel in eine Art Dornröschenschlaf. Die U.S.A. und die UdSSR standen sich mitten in Berlin waffenstarrend gegenüber. Ein Pulverfass.«
»Europa hat Hitler gegen Stalin eingetauscht?«
»Wir sind nicht hier, um Leichen zu zählen und gegeneinander aufzuwiegen. Man kann nicht den einen Diktator bagatellisieren, weil es einen weiteren gibt, der noch menschenverachtender regiert.«
»Der Sozialismus hat tatsächlich überlebt?«
»Ja und nein. Anders als bei uns, hat er zumindest den Krieg überlebt. Das Pulverfass stand sozusagen mehr als vierzig Jahre mitten in Berlin, eine Lunte reichte nach Osten, die andere nach Westen. Ein sowjetischer und ein amerikanischer Soldat standen mit brennendem Streichholz bereit, die Lunte zu zünden. Nur dass das Pulverfass kein Pulverfass war, sondern eine atomare Bedrohung.«
»Gab es einen Atombombenabwurf in der anderen Ebene, wie den unseren auf Casablanca 1945, um den letzten Nachschubpunkt der U.S.A. ein für alle mal zu zerstören?«
»Ja. Das Deutsche Reich hatte rechtzeitig kapituliert, sonst wäre die Bombe über München abgeworfen worden. So fiel sie bei unseren Verbündeten, eine über Hiroshima und eine über Nagasaki. Dann strich endlich auch der japanische Kaiser die Segel.«
»Was war denn nun mit dem Sozialismus? Ein weiterer Krieg?«
»Diesmal nicht! Die Zeit nach 1945 verlief zumindest in Europa – anders wie ihr vielleicht nach der von mir geschilderten Gesamtsituation vermutet – größtenteils friedlich, es gab wohl ausschließlich regionale Kriege auf dem Balkan, und diese auch erst nach dem Zusammenbruch des Sozialismus'. Die sozialistische Planwirtschaft war zumindest in der praktizierten Form weder wettbewerbs- noch überlebensfähig. Die Industrie im Osten Europas war heruntergewirtschaftet, die Regierungen korrupt, die Landwirtschaft hatte auf Raubbau und nicht auf Erhalt gesetzt. In diesem riesigen Reich, das der westlichen Welt über vier Jahrzehnte Respekt und Angst eingeflößt hatte, das technisch und wissenschaftlich den U.S.A. durchaus ebenbürtig war und sogar den ersten Menschen ins Weltall befördert hatte, herrschte plötzlich eine Hungersnot! Die Sowjetunion war nun auf Hilfe angewiesen und dadurch zu einigen Zugeständnissen bereit. In diesem Zusammenhang gelang es auch dem westlichen der beiden verbliebenen Teile des ehemaligen Deutschen Reiches sich den östlichen einzuverleiben. Die Regierung des östlichen Teils stimmte dem zu. In der Folge verließen sämtliche sowjetischen Besatzungstruppen deutschen Boden. Die amerikanischen Soldaten blieben. Sie waren im Laufe der Jahre zu Freunden und geschätzten Verbündeten geworden. Sie wurden von Anfang an als Befreier wahrgenommen, nicht als Eroberer.«
»Also alles friedlich im anderen 2008?«
»Ja, weitgehend. Es gibt regionale Unruheherde auf dem Globus, doch es gibt auch eine starke und sich zumeist auch einige internationale Gemeinschaft. Die Vereinten Nationen, beispielsweise, haben überlebt. Die meisten Regierungen weltweit haben eine demokratische Legitimation. In Europa gibt es eine gemeinsame Währung, auf die sich mehrere Staaten freiwillig geeinigt haben. Sie heißt zwar nicht wie bei uns 'Reichsmark', die Zentralbank ist jedoch dort – genau so wie bei uns – in Frankfurt am Main.«
»Die U.S.A. sind die einzige verbleibende Großmacht? Führt das nicht zu übermächtiger globaler Dominanz, zu Machtmissbrauch und einer Politik des 'Rechts des Stärkeren'?«
»Das sind exakt die Themen, die die Menschen der anderen Ebene beschäftigen. Die U.S.A. ist eine Art selbst ernannte Weltpolizei geworden, mit allen positiven und negativen Konsequenzen. Personenkult und Patriotismus sind im dortigen Europa so gut wie ausgestorben, auch aufgrund der eigenen Geschichte. In den U.S.A. dagegen erleben sie eine Blütezeit und Kritiker sehen hier sehr wohl eine Wiedergeburt des Nationalismus'. Die politischen Kreise in den U.S.A. wehren sich natürlich gegen diese These. Die europäischen Staaten sind dabei, ihre Pflicht ihrem ehemaligen Befreier gegenüber zu leisten und die Regierenden grenzen sich zunehmend von den U.S.A. ab und
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