Alles bleibt anders (German Edition)
Hohmann, »käme das einem sehr überraschenden Sinneswandel gleich, nach all dem, was Ihnen seine Verlobte über den Vorabend des Unglücks erzählte. Da fällt mir ein: Wissen Sie, warum er überhaupt auf dem Bahnhofsgelände war?«
»Ja. Meine Mutter erzählte mir, dass sich der Laden des Fotografen in der Bahnhofsvorhalle befand. Ein guter Ort für so ein Geschäft. Erhöht sicher seine Chancen, die gemachten Fotografien auch verkaufen zu können.«
»Gut. Das macht die Selbstmordthese eher noch unwahrscheinlicher. Denn es hieße ja, Herr Miller hätte das Bild abgeholt, das ihn an den wohl glücklichsten Tag seines Lebens erinnerte, und sich unmittelbar danach vor einen Zug geworfen. Was könnte einen solchen Sinneswandel schon verursachen?«
Frank hob kurz die Achseln an.
»Für einen Mord benötigen wir ein Motiv und einen Mörder. Haben Sie in dieser Richtung schon nachgeforscht?«
»Nein«, entgegnete Frank und kratzte sich durchs Hemd an seiner Wunde, die seine Mutter morgens versorgt hatte. Zur Praxis war er danach zu Fuß gegangen, sie lag keine fünf Minuten entfernt.
»Könnte man vielleicht über ehemalige Freunde in Erfahrung bringen. Bleibt noch der Unfall: War er eventuell so berauscht und in solcher Hochstimmung, weil er das Foto mit sich und seiner Braut gesehen hatte, dass er seine Umwelt nicht mehr wahrnahm? Dass ihm gar nicht bewusst war, dass er über die Gleise ging oder dass er vom Bahnsteig einfach auf die Gleise hinunterstolperte?«
Das freundliche Zwinkern war wieder da.
»Sind das die Fragen, die Ihnen im Kopf umhergehen, Herr Miller?«
Frank nickte.
»Nun, es ist natürlich verständlich, dass Sie sich in Ihrer derzeitigen Situation auch damit beschäftigen. Sie sollten dabei aber nicht den einzigen unumstößlichen Fakt übersehen, den wir haben.«
Dr. Hohmann musterte Frank von oben nach unten und wieder zurück.
»Sie sitzen vor mir«, sagte er triumphierend, »Ich zweifle nicht an meinem Verstand. Sie sind kein Geist. Ihre Mutter hat sie erkannt und auch ihr damaliger Hausarzt. Daraus wiederum gibt es nur eine mögliche Schlussfolgerung.«
Franks Gesicht blieb ausdruckslos.
»Der Mann, der vor drei Jahren am Görlitzer Bahnhof vom Zug mitgerissen wurde, war nicht Frank Miller.«
»Wer war er dann?«
»Möglicherweise ein Ganove, der im Schatten auf dem Bahngelände auf der Lauer gelegen hatte. Da treibt sich ja stets einiges an Gesindel herum auf unseren Bahnhöfen. Möglicherweise hatte er es auf Ihre Brieftasche abgesehen und dann, nachdem er Ihnen eins mit dem Schlagstock über den Schädel gezogen hatte, stellte er fest, dass auch die Kleider, die Sie trugen, besser als seine eigenen waren und Sie beide erfreulicherweise eine ähnliche Statur hatten.«
Unwillkürlich fasste sich Frank an seinen Kopf und tastete ihn nach verheilten Narben ab.
»Vielleicht haben Sie durch den Schlag Ihr Gedächtnis verloren und sind umhergeirrt.«
»Nackt?«
»Na ja, der Dieb hätte ja wohl seine eigenen Kleider zurück gelassen. Die haben Sie dann angezogen, unbewusst oder aus Schamhaftigkeit. Unwahrscheinlich, dass Sie beobachtet wurden, es hat ja damals niemand eine entsprechende Aussage gemacht.«
»Und dann?«
»Auf jeden Fall ist er geflüchtet – vielleicht weil Sie gerade wieder zu sich kamen oder weil er eine andere Person zu hören glaubte – und ist dabei vor den Zug gerannt.«
»Aber Claire hat die Leiche identifiziert und behauptete auch gestern wieder Stein und Bein, ich sei nicht Frank Miller!«
»Ihre Aussage wiegt nicht mehr und nicht weniger als die Ihrer Mutter. Damals hatten die Behörden mehr Ihrer Braut geglaubt als den Worten Ihrer Mutter. Da kurz darauf Ihr Vater starb und man das in unmittelbarem Zusammenhang mit 'Ihrem Verschwinden' sah, ergibt es aus meiner Sicht durchaus Sinn, die Identifikation durch Ihre Mutter in Zweifel zu ziehen. Ein Fehler, wie man heute zugeben muss. Möglicherweise war Claire viel labiler in jenen Tagen als Ihre Mutter, konnte ihren Zustand jedoch besser verbergen!«
Das klang für Frank durchaus einleuchtend.
»Aber, wo bin ich in den drei Jahren gewesen?«
Dr. Hohmann schüttelte den Kopf.
»Ich habe in einer Fachzeitschrift von einem Fall gelesen, da ist ein junger Mann, der sein Gedächtnis verloren hatte, in Karlsruhe verschwunden und erst fünf Jahre später wieder aufgetaucht – in Nürnberg! Er war fein gekleidet und hatte die Taschen voller Geld. Zufälligerweise hat ihn dort ein Vetter, der geschäftlich in Nürnberg zu tun hatte,
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