Alles bleibt anders (German Edition)
wollte schon an ihm vorbei gehen und über die Treppe nach oben die zweite Etage des Busses erreichen, da hielt ihn der Schaffner am Arm fest.
»Halt! Das macht zwei Groschen!«
Frank kramte in seiner Hosentasche, holte eine Handvoll Münzen hervor, aus denen er zwei heraussortierte. Er hatte sich die Geldstücke inzwischen eingeprägt. Auf den beiden abgegriffenen, ockerfarbenen zwei Zehn-Pfennig-Münzen, die er nun dem Schaffner übergab, prangte vorne die Zahl '10' über der 'Deutsches Reich' zu lesen stand und unter der die Währungseinheit 'Pfennige' geprägt worden war, die Rückseite zierte Eichenlaub. Der Schaffner drückte ihm nun seinerseits ein briefmarkengroßes Billet in die Hand. Dann ging es für Frank hinauf auf die unverkleidete obere Plattform, er setzte sich dort auf eine der Bänke und genoss den erhöhten Ausblick auf die Straßen der Stadt. Etwas bewölkter und dadurch auch kühler war es heute im Vergleich zu den vorangegangenen Tagen. Zum Glück hatte Frank heute Morgen eine Jacke mitgenommen, die er nun im Fahrtwind fröstelnd überzog.
Er war der einzige, der bei dem Wetter nach oben gegangen war, was beim Schaffner ein erneutes Kopfschütteln provozierte.
Falls heute wieder ein Verfolger hinter ihm war, so dachte Frank, so hatte er ihn mit seinem spontanen Sprung auf die Plattform des Busses sicher abgehängt. Zumindest hatte er niemanden beobachtet, der ihm gefolgt wäre.
Da Frank nicht so recht wusste, wo er aussteigen musste, lehnte er sich, ein paar Haltestellen später – der Bus stand gerade – über die Brüstung und rief nach unten.
Eine korpulente Frau, die gerade einstieg, war schneller als der Schaffner: »Zwe Stationen noch, dann müssen Se 'raus.«
Sie grinste ihn breit an und zwei auffällige Zahnlücken kamen zum Vorschein. Sie hatte ein Kostüm an, das sicher einmal elegant gewesen war, nun aber nur noch verschlissen und schmutzig wirkte. Der Geruch eines auffälligen und billigen Parfüms schlug Frank entgegen und er wich schnell zurück, bevor die etwa fünfzigjährige Frau auf die Idee kam, sich zu ihm nach oben zu gesellen.
Er hatte Glück! Wenige Minuten später war das Ziel erreicht und Frank stieg aus. Um eine Häuserecke müsse er noch herum, antwortete ihm der Passant, den er nach dem Weg gefragt hatte, und als er diese passierte, blieb er stehen.
'Arzt im Praktikum' wäre er gewesen und an der Charité habe er gearbeitet, hatte ihm seine Mutter erzählt, nachdem er sie heute Morgen beim Frühstück darauf angesprochen hatte, dass ihn Dr. Anklamer als 'Herr Kollege' bezeichnet hatte.
Wieder einmal hatte er gehofft, die Konfrontation mit einem Stück aus seiner Vergangenheit würde die schmerzlich vermisste Erinnerung zurückholen, Verschollenes und Vergessenes wieder aus den Tiefen seines Bewusstseins auftauchen lassen.
Und wieder einmal wurde seine Hoffnung enttäuscht.
Auch mit größter Anstrengung konnte er nichts an dem vor ihm liegenden Gebäudekomplex identifizieren.
Ein großes, gemauertes Torhaus, über dem in Großbuchstaben der Name der Anlage prangte, bildete den Eingang zum Gelände, breit genug, um Krankentransporte hindurch zu lassen. Links und rechts des Tores führten Mauern um die Anstalt herum, in Abständen sah Frank auch kleinere Seitenportale, mittels derer man ins Innere gelangte. Dem Torhaus anschließend war ein kleineres Gebäude angebaut; ein Pförtner erteilte dort Auskunft über die vielen medizinischen Abteilungen und Bettenhäuser der Charité. Im Moment gingen nur wenige Menschen durchs Tor ein und aus. Deren Kleidung war unterschiedlicher Art: Straßenkleidung und elegante, vornehme Zivilkleidung wechselten einander ab mit weißen Arztkitteln und schwarzen Schwesterntrachten.
Immer noch stand Frank an der Hausecke und einem Mann im Weg, der plötzlich hinter ihm um die Ecke bog. Der Mann, wie viele andere auch, an seinem Kittel als Arzt erkennbar, hatte den dort stehenden Frank viel zu spät entdeckt und war prompt in ihn hineingerannt.
Frank hätte sein Gleichgewicht verloren, hätte der Mediziner ihn nicht geistesgegenwärtig gepackt. Doch dessen Griff lockerte sich sofort wieder und Frank packte nun seinerseits zu, um nicht doch noch zu Boden zu gehen. Franks Finger krallten sich in den weißen Stoff und es gelang ihm gerade noch, sich auf den Beinen zu halten.
Der Mann vor ihm war aschfahl im Gesicht, sah ihn mit großen erschrockenen Augen an.
»Was ist los mit Ihnen?«
Franks Gegenüber schluckte und befeuchtete seine Lippen,
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